Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
Vom Netzwerk:
Julia nicht eilig, zu ihrem Auto zu kommen. Noch einmal ließ sie vor sich Revue passieren, wie es sie überhaupt hierher verschlagen hatte.
    Eigentlich war sie nur deshalb in Lozère, weil eine Bekannte in ihrem Londoner Institut vor einem Jahr ganz beiläufig eine Grabung erwähnt hatte, die demnächst in Südfrankreich beginnen sollte. Nicht weit von den bekannten Steinzeithöhlen! Und es war noch eine Stelle für einen Archäologen aus England frei! Eine ganze Saison! Julia war sofort Feuer und Flamme gewesen. Endlich einmal richtige Archäologie. Buddel-Archäologie.
    Begeistert hatte sie ihre gesamten Ersparnisse zusammengekratzt und ihrem eher hämisch reagierenden Chef in London die Freigabe für ein Forschungssemester abgerungen. Und dann war sie mit großen Hoffnungen aufs europäische Festland gekommen, um einen ganzen Sommer lang in Frankreich – in Frankreich – zu graben. Aber sie hatte nichts gefunden, weil es dort nichts mehr zu finden gab. Absolut nichts. Und bis zu diesem Tag hatte alles darauf hingedeutet, dass sich ihr Forschungssemester genauso als Fehlschlag erweisen würde wie alles andere in ihrem Leben: wie ihre Karriere, wie ihre bisherigen Beziehungen.
    Bis zu diesem Tag. Bis zu den Schädeln. Bis zu ihrem Fund.
    Julia ließ ihren Blick über die aufrecht stehenden Megalithen schweifen. Die Menhire der Cham des Bondons zählten zu den eindrucksvollsten Europas – nur die Anlage von Carnac war größer, nur Stonehenge und Callanish waren imposanter –, und doch waren sie so gut wie unbekannt.
    Woran lag das? Spontan fiel ihr keine einleuchtende Antwort ein. Sicher spielte die Abgelegenheit der Region eine gewisse Rolle. Die Bevölkerungszahl des Departements Lozère ging seit Jahrhunderten unaufhaltsam zurück. Das am höchsten gelegene Kalkplateau von allen, der Causse Méjean im Westen der Cham des Bondons, galt als die am dünnsten besiedelte Region Frankreichs: eine riesige felsige Hochebene, auf der es nur noch einige wenige Schäfer gab. Alle anderen waren weg. Alles andere war weg.
    Deshalb war es kein Wunder, dass die kalte und windige Cham des Bondons so wenig bekannt war. Es gab kaum jemanden, der die uralten Megalithen besichtigen wollte, und es gab keine einfache Möglichkeit, durch die Wildnis zu kommen, die sie vom Rest der Welt abschirmte.
    Aber vielleicht gab es auch eine andere Erklärung dafür – vielleicht hatte die mangelnde Berühmtheit der Megalithen etwas mit der Atmosphäre der Cham des Bondons zu tun. Mit der düsteren, abweisenden Landschaft. Die Menhire waren wie urzeitliche Krieger, die trauernd um das Grab eines verehrten Königs standen. Ähnlich den Moai, den steinernen Kolossalstatuen der Osterinsel, die von einer aussterbenden und möglicherweise gewalttätigen Gesellschaft errichtet worden waren.
    Ein Gedankenblitz.
    Könnte es sein?
    Dicke Regentropfen klatschten in Julias Gesicht, aber sie spürte die Kälte nicht. Die Idee, die ihr gerade gekommen war, hatte etwas Bestrickendes. Sie war zwar ziemlich weit hergeholt, geradezu verrückt, aber manchmal musste man in der Archäologie intuitiv Zusammenhänge herstellen, gewagte Gedankensprünge machen, um zu einem neuen Paradigma zu gelangen.
    Sie ging jetzt entschlossener zu ihrem Auto, und ganz ähnlich, wie sie nach dem Schlüssel in ihrer Tasche wühlte, begann sie aufgeregt nach der Wahrheit zu wühlen. Die Menhire der Cham des Bondons wurden dem späten Neolithikum zugeordnet. Die Skelette wurden dem Neolithikum zugeordnet. Sie stammten aus derselben langen Phase der Menschheitsgeschichte. Bestand vielleicht ein Zusammenhang zwischen den Bondons und der Ungewöhnlichkeit dieser Knochen?
    Ja. Nein. Warum nicht? Wer konnte das schon mit Sicherheit sagen?
    Zum Teufel mit Ghislain. Es war ihr Fund. Sie würde dieses Rätsel lösen. Und jetzt hatte sie einen intuitiven Anhaltspunkt. Zwischen den uralten Megalithen und den Knochen musste ein Zusammenhang bestehen. Und dieser Zusammenhang bestand aus diesem unaussprechlichem Gefühl, diesem Nachhall einer Intuition. Die unbestreitbar existierenden Skelette in der Höhle unter ihren Füßen riefen in ihr genau dasselbe Gefühl hervor, das die Menhire in ihr hervorriefen:
    Schuld.

5
    D ie laotischen Polizisten trugen ihre Pistolen in Schulterholstern. Das stickig heiße Zimmer war durchdrungen vom unverkennbaren Geruch von Männerschweiß. Die Vernehmung wurde aggressiver.
    Was wollten Jake und Chemda hier? Wer war der Tote? Warum war ihr Führer

Weitere Kostenlose Bücher