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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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war das in Frankreich nun mal. Nur mit seiner Zustimmung konnte sie sich die Rechte an ihrem Fund sichern, das Ganze zu ihrem Projekt erklären und die Höhle für jeden Zutritt sperren lassen, bis sie zu Beginn der nächsten Grabungssaison zurückkehrte und ihre Arbeit fortsetzte. Dann konnte sie eine wissenschaftliche Arbeit über ihre Entdeckung veröffentlichen und sich einen Namen machen. Oder zumindest damit anfangen, sich einen namen zu machen. Wer weiß, ob sie je wieder eine solche Gelegenheit bekäme.
    »Und? Was halten Sie von meinem Fund, Ghislain?«
    »Einen Moment, Julia. Bitte. La patience est amère, mais son fruit est doux. «
    Wieder eine nervenaufreibende Pause. Er untersuchte einen der verletzten Wirbelknochen und eine zwischen den Halswirbeln steckende Pfeilspitze. Endlich wandte er sich wieder ihr zu. Die Haare auf seinen großen, weißen Händen waren sehr schwarz und dicht.
    »Der Schädel stammt offensichtlich von einem Mann. Ja, ja. Aber die Skelette …« Ghislain zögerte und zog eine Lupe heraus, um den Halswirbel noch einmal zu untersuchen. Dann drehte er sich zu ihr. Abrupt.
    »Das genügt. Miss Kerrigan.« Er zog sich in den geräumigeren Teil der Höhle zurück und winkte ihr, ihm zu folgen. »Ja, ein interessanter Fund. Sehr interessant sogar, aber …«
    »Aber was?« Julia kämpfte gegen ihre wachsende Panik an. Ghislain musste sich doch der Außergewöhnlichkeit ihres Funds bewusst sein?
    Er deutete mit seinem teuren deutschen Stift auf den zur Gänze freigelegten Schädel hinab. »Sehen Sie? Solche Trepanationen sind in dieser Gegend – und in dieser Epoche – relativ häufig. In der Tarn-Schlucht und in den Grotten des Causse méjean wurden ganz ähnliche Funde gemacht. Das ist also nichts Besonderes.«
    »Aber die verletzten Kinder und die Feuersteinspitzen, Herr Professor?«
    »Eh. Sie sind typique .«
    »Typisch? Typisch? So etwas habe ich noch nie gesehen, und ich …«
    »Bitte. Beruhigen Sie sich. Gehen wir erst mal nach oben. Hier unten in der Höhle ist es etwas ungemütlich.«
    Trotz aller Höflichkeit hatte seine Entgegnung eine gewisse Schärfe. Ghislain drehte sich um und ging zur Leiter. Julia beobachtete, wie er die Stahlsprossen hinaufstieg, zum Wind und zum Himmel der Cham des Bondons hinauf. Gehorsam und unterwürfig folgte sie ihm. Was genau hatte Ghislain vor? Was wollte er damit sagen? Würde er sie ihren Fund auswerten lassen? Oben angekommen, fasste Ghislain in die Tasche seiner Lederjacke und zog sein Handy heraus.
    Die Luft über der Cham war kalt und klamm, fast durchdringender als unten in der Höhle. Julia blickte sich um. Unter ihnen wellten sich die dunklen Wälder der Cevennen der fernen Küste entgegen. Im Osten zuckte ein Blitz; schwarze Wolkenmassen wälzten sich über das karge Gestein der Cham des Bondons heran.
    Ghislain sprach in raschem, kultiviertem, kryptischem Pariser Französisch in sein Handy. Julia entfernte sich ein paar Schritte von ihm, um das Gespräch nicht mitzuhören, und wartete nervös auf seine Entscheidung. Was sollte dieses blöde Getue? Ghislain musste sich doch der Bedeutung ihres Funds bewusst sein. Trotz seiner Arroganz und seiner salbungsvollen Art war er ein hochintelligenter Mann, eine Koryphäe auf seinem Gebiet; er beherrschte mehrere Sprachen, unter anderem ein ganz vorzügliches Englisch, wofür ihn Julia umso mehr bewunderte, als ihr Québécois-angehauchtes Französisch einiges zu wünschen übrig ließ.
    Sie konnte ihre Ungeduld nur mit Mühe im Zaum halten, während Ghislain im nieselregen auf und ab schritt und telefonierte.
    Endlich beendete der Herr Professor das Gespräch. Sie wartete, dass er ihr seine Entscheidung mitteilte. Dass er sich ihr zuwandte, sein schmieriges Grinsen aufsetzte und sagte: Bien sur. Sie haben natürlich vollkommen recht, das ist der interessanteste Fund der ganzen Saison.
    Aber stattdessen zuckte er nur mit den Achseln, und drehte sich um. Er ging auf sein Auto zu, das vor einem verlassenen, im Dämmerlicht verschwindenden Bauernhof am Straßenrand stand.
    Inzwischen war der Regen stärker geworden, hartnäckig und penetrant. Gereizt folgte Julia ihrem Chef. Ihr riss allmählich die Geduld. Sie wollte endlich Gewissheit.
    »Ghislain, ich meine, Herr Professor«, stieß sie aufgebracht hervor. »Bitte, so sagen Sie doch endlich was. Darf ich nächste Saison weiter daran arbeiten? Darf ich? Bitte! Es sieht doch alles sehr vielversprechend aus. Die Knochen, die Schädel. Das

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