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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Pistole.
    »Werft mich in den Abgrund, wenn alles vorbei ist. Wenigstens kann ich mich jetzt ohne schlechtes Gewissen selbst richten. Das einzig Positive, was ich diesem Wahnsinn zu verdanken habe.«
    Damit drehte sie sich um und ging ein paar Meter am Rand des Abgrunds entlang. Dann hielt sie sich, als wollte sie mit einem Bolzenschussapparat ein Schwein töten, die Pistole an den Kopf und drückte ab. Eine weitere Explosion aus blutigem Rot, durchsetzt von unzähligen Knochensplittern.
    Der Aufschrei kam von Chemda – sie hatte sich schluchzend von dem schockierenden Schauspiel abgewandt. Jake dagegen schaute fasziniert zu und beobachtete, wie die Männer mit den Narben Soriyas Befehl Folge leisteten und ihren zuckenden Körper in den Abgrund warfen. Geier flogen dem Aas hinterher in die Schlucht hinab.
    Blutstropfen und Knochensplitter glänzten in der Sonne. Ein Yak stierte triefäugig auf den Menschenauflauf, der sich zu zerstreuen begann. Die Wachen zogen sich zurück, manche liefen bereits weg.
    Wenige Augenblicke später standen Fishwick, Julia, Chemda und Jake am Rand des Dorfes Balagezong. Ganz allein. Der Wind rauschte in den Wäldern Yunnans, untermalte ihre Trauer mit leisem Heulen.
    War es überhaupt Trauer? Wann würde die Trauer einsetzen?
    Jake fasste an die Narbe an seinem Kopf. Sie brannte. Er konnte spüren, in welch heftigem Zwist sich der dumpfe Schmerz in seinem Bewusstsein und seine geistige Klarheit befanden. Das Schuldbewusstsein war weiterhin in seinem Kopf, aber er konnte keinen Zugang dazu finden; wie ein liebgewonnenes Gedicht, das er vergessen hatte, wie ein schönes Lied, an das er sich nicht mehr richtig erinnern konnte. Genauso wenig wie an seine Liebe zu Chemda.
    Plötzlich hatte er das Gefühl, für irgendetwas blind geworden zu sein, einen Sinn verloren zu haben. Wie hatte er Tyrone das antun können? Und warum empfand er keinerlei Reue?
    Als er an sein Gesicht fasste, fühlten sich seine Finger feucht an. Zu seinem Erstaunen schien er zu weinen. Aber er wusste nicht, warum.
    »Chemda«, sagte er, »was haben sie mit mir gemacht?«
    Sie ergriff seine Hand. Jake konnte die Feuchtigkeit auf seinem Gesicht spüren. Wie von Tränen. Aber er wusste nicht, worauf sie zurückzuführen war. Er weinte nicht. Es lief nur etwas aus. Ja, er leckte . Wie so eine blöde Maschine, wie eine Batterie. Er war wie Soriya, mitleidlos. Eine organische Maschine, aus der Öl auslief.
    Jake ging in die Hocke. Er wollte sich klein machen, sich vor der Welt verstecken. Alles war so schlimm und schrecklich, und vor allem war es so sinnlos.
    Chemda beugte sich zu ihm herab und küsste ihn.
    »Es gibt etwas, was wir tun können«, flüsterte sie.

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    S ie sagte noch einmal: »Es gibt etwas, was wir tun können. Aber es ist nicht ungefährlich. Colin hat es mir vor ein paar Tagen verraten. Deshalb habe ich Soriya gebeten, ihn zu verschonen.«
    Fishwick kniete neben Jake. Er war so aufgewühlt, dass er nur stotternd hervorbrachte:
    »Der Eingriff, den wir an Ihnen vorgenommen haben, war kryotherapeutisch. Kommen Sie … bitte … dann erkläre … ich es Ihnen.«
    Jake ließ sich auf die Terrasse führen. Er setzte sich an den Tisch und blickte auf das Dorf. Es schien menschenleer. Vermutlich waren die Dorfbewohner aus Angst vor den Schüssen und dem schrecklichen Schauspiel am Rand des Abgrunds geflohen, um sich in den Bergen zu verstecken. Auch alle anderen waren weg: die Wachen, die Laboranten, Sen, Tyrone und Soriya. Balagezong war wie ausgestorben. Die Atmosphäre war gespenstisch friedlich, eine trügerische Idylle. Nur der Nebel kroch durch die Himmelsdörfer.
    Wie hatte er zulassen können, dass sie Tyrone einfach umbrachten?, fragte sich Jake.
    Fishwick erklärte es ihm.
    »Wir haben jahrelang daran gearbeitet, an der Perfektionierung des … chirurgischen Verfahrens. Bis wir irgendwann gemerkt haben, dass die Lösung konzeptioneller Natur war: dass das Gottesmodul wie ein schwer zugänglicher Hirntumor behandelt werden müsste. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass Sen von dieser Metapher begeistert war. Von der Analogie. Religion und Gewissen als ein bösartiges Krebsgeschwür in einem ansonsten gesunden Organismus.«
    Achselzuckend fuhr Fishwick fort: »Um Ihnen das jedoch in allen Details zu erklären, fehlt uns leider die Zeit. Die chinesische Polizei und das Militär werden sicher bald eintreffen, und wenn die Operation gelingen soll, muss ich sofort anfangen.«
    Jake sah den Arzt

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