Bibel der Toten
women mei yige ren. Beijian tasha si, qiyu!«
Sobald die Männer einen richtigen Befehl erhalten hatten, kam Bewegung in sie. Wenige Augenblicke später wimmelte es auf der Terrasse von Wachen. Jake konnte ihren Schweiß riechen. Bier, Yakbutter und Schmutz. Sen wurde als Erster die Treppe hinuntergeführt, dann Fishwick und Tyrone.
Nur Tyrone setzte sich zur Wehr und schrie. Nur er leistete Widerstand.
»Jake, sag ihnen doch, dass ich nichts mit der ganzen Sache zu tun habe. Los, sag’s ihnen, Mann! Tu endlich was, verdammt noch mal! Ich habe nichts mit dieser ganzen Scheiße hier zu tun …«
Die Wachen schleppten Tyrone an den Rand des nächsten Abgrunds in nur wenigen Metern Entfernung. Er fiel fast senkrecht zu den Himmelsdörfern ab. Beinahe tausend Meter.
»Jake, bitte, hilf mir, Jake. Mensch, sag doch was!«
Während er beobachtete, wie sich Tyrone verzweifelt wehrte, hielt sich Jake, ganz nüchtern und sachlich, vor Augen, dass Tyrone ihn hintergangen hatte. Ungeachtet der Tatsache, dass die Operation erfolgreich verlaufen war, hatte Tyrone aus purem Eigennutz Jakes Leben aufs Spiel gesetzt. Verdiente er es, am Leben gelassen zu werden? Wahrscheinlich nicht. Zudem gab es noch einen anderen Aspekt zu berücksichtigen. Wenn Tyrone tot war, hatte Jake keinen Konkurrenten mehr; dann konnte er seine spektakuläre Story selbst schreiben. Und das ganze Geld einstreichen. Jake stieg die Treppe hinunter. Chemda folgte ihm. Er ging auf seinen Freund zu. Seinen ehemaligen Freund. Er blickte in Tyrones entsetzte Augen.
Und dann sagte er: »Tut mir leid, Kumpel.«
Und wandte sich ab.
Die Männer zerrten Tyrone an den Rand des Abgrunds. Chemda sah Jake bestürzt an. Es war Jake egal.
Sollte Tyrone ruhig sterben.
Der amerikanische Journalist begann zu schluchzen. Weinend wie ein kleines Kind bettelte der hartgesottene Tyrone McKenna um sein Leben.
»Hilf mir, Jack. Bitte.«
Soriya machte eine kurze Handbewegung.
Tyrone wurde in den Abgrund gestoßen. Jake blickte über die Kante. Sein Freund stürzte trudelnd in die Tiefe. Es war richtig spektakulär. Jake beobachtete, wie der Körper seines Freunds in einer roten Wolke aus spritzendem Blut explodierte, als er gegen einen Felsvorsprung prallte. Dann verschwand er in den Tiefen der Schlucht.
Julia schluchzte.
Soriya deutete auf Fishwick.
»Ihn als Nächsten. Ta de xia yige. «
Fishwick wurde von den schwitzenden Wachen an den Rand des Abgrunds geschleppt. Grell und gleichgültig schien die Sonne auf sie herab. Der Neurochirurg wehrte sich nicht einmal; über seine Züge hatte sich ein Ausdruck tiefer Resignation gelegt. Sein grauer Pferdeschwanz baumelte schlapp seinen Rücken herab.
Aber jetzt griff Chemda ein.
»Nein, bitte nicht. Bringt ihn nicht um!«
Soriya drehte sich zu ihr. »Warum nicht?«
»Ich bin doch deine Schwester, oder? Deine Zwillingsschwester? Tu es mir zuliebe. Verschone ihn.«
Soriya zögerte. Über das ausdruckslose dunkle Gesicht der Killerin huschte der Anflug einer Emotion, einer unergründlichen Emotion. Trauer? Bedauern? Jedenfalls etwas tief Sitzendes und lange Unterdrücktes. Fasziniert verfolgte Jake das Geschehen. Julia schaute zu ihm.
»Meiner Schwester zuliebe?« Soriya gestikulierte in Richtung der Wachen. »Na schön, meinetwegen. Lasst ihn laufen. Ist doch sowieso egal. Aber meinen Großvater werde ich persönlich umbringen. Bringt mir die Stange.«
Die Männer ließen Fishwick los. Jetzt wurde Sen an den Rand des Abgrunds geführt. Die Kiefern rauschten im Wind; die Schluchten klafften dunkel und hungrig.
»Niederknien«, befahl Soriya.
Ihr Großvater kniete nieder. Dann blickte er zu seiner Enkeltochter auf und sagte ganz ruhig: »Wie bist du an den Hauptwachen vorbeigekommen? Durch die innere Absperrung?«
Soriya zuckte mit den Achseln. »Sie dachten, ich wäre Chemda. Sie haben mich für sie gehalten.« Sie deutete auf die schwitzenden Männer mit den Narben, die Operierten. »Die anderen Wachen, deine Fehlschläge , haben sich bereit erklärt, mir zu helfen. Ich habe schon vor Monaten alles geplant und vorbereitet. Ich bin unbemerkt hierhergekommen und habe alles mit ihnen besprochen. Von diesen Männern hast du keine Loyalität zu erwarten, Sen. Du hast sie alle verstümmelt. Und jetzt, ohne Glauben oder Angst oder Liebe, ist ihnen alles egal. Es gibt niemanden, der dir helfen könnte. Die Leute aus den Labors sind alle geflohen. Sie wissen, dass die Volksbefreiungsarmee im Anmarsch ist.«
Sen lächelte.
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