Bibel der Toten
verständnislos an. Julia und Chemda saßen schweigend nebeneinander. Wie Schwestern. »Was für eine Operation?«, fragte Jake verdutzt.
»Das Gottesmodul«, erklärte ihm Fishwick, »ist nicht einfach ein kleines Stückchen Gewebe im menschlichen Gehirn. Mit Hilfe von Ultraschall, PET, MRTs tibetischer Mönche und zahlreichen anderen Untersuchungsmethoden haben wir schließlich herausgefunden, dass es sich beim Gottesmodul um ein äußerst komplexes, im Frontallappen angesiedeltes System handelt, das aber auch, wie ein bösartig wuchernder Tumor, mit dem Hippocampus, der Amygdala, den Thalamuskernen und anderen Bereichen des Gehirns vernetzt ist. Des… deshalb lassen sich diese weitverzweigten invasiven Tumore am besten kryotherapeutisch behandeln. Das heißt, man zerstört das krankhafte Gewebe mit extremer Kälte, die mit flüssigem Stickstoff oder Argongas erzeugt wird.«
»Soll das heißen, Sie haben meine Seele eingefroren?«
»Wenn Sie so wollen, ja. In einer sogenannten Kryosonde, einem Apparat, in dem flüssiger Stickstoff zirkuliert, werden die unerwünschten Zellen tatsächlich einfach vereist. Deshalb kann man also durchaus behaupten, dass wir die Seele einfrieren.«
Der Schnee auf dem heiligen Berg glitzerte in der Nachmittagssonne kristallen und prismatisch. Das Gesicht von Reue zerfurcht, fuhr Fishwick fort:
»Dabei treten allerdings nach wie vor Probleme auf. Obwohl wir, rein theoretisch, die Operationsmethode so weit perfektioniert haben, dass wir hinterher stabile und voll funktionsfähige Gehirne bekommen, die anatomisch nicht mehr zu spiritueller Gläubigkeit und religiöser Imagination imstande sind … muss ich dennoch zugeben, dass das Ergebnis immer noch … suboptimal ist. Oft fehlt hinterher irgendetwas, was sich jedoch nicht eindeutig definieren lässt. Eine Nivellierung der Emotionen, ein Mangel an psychischer Komplexität. Eine Art Taubheit. Aufgrund dessen gelange ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass viele Menschen offensichtlich geradezu darauf programmiert sind, an etwas zu glauben. Sie haben sich gewissermaßen so weit in eine bestimmte Richtung entwickelt, dass sie glauben müssen. Daher halte ich es im Fall mancher Patienten für einen schwerwiegenden Fehler, sie dieser Fähigkeit zu berauben …« Fishwick seufzte.
»Vielleicht waren auch Sie, Jake, darauf programmiert, zu glauben. Sie haben Ihr Bedürfnis, an etwas zu glauben, lediglich jahrelang unterdrückt – möglicherweise infolge Ihrer traumatischen Kindheitserlebnisse. Sie sind zwar furchtbar wütend auf Gott, aber in Ihrem tiefsten Innern glauben Sie immer noch an ihn. Zumindest haben Sie an ihn geglaubt, bis wir den Eingriff an Ihnen vorgenommen haben.«
In Jake stieg hilflose, blinde Wut auf.
»Und was genau soll das heißen? Was bedeutet das für mich konkret?«
»Der Eingriff kann rückgängig gemacht werden«, sagte Chemda.
»Was? Sie können alles wieder rückgängig machen? Mein Hirn wieder auftauen?«
Fishwick nickte. »Wenn Sie es so drastisch ausdrücken wollen … doch, grundsätzlich ja. Obwohl unser Verfahren im Lauf der Zeit immer ausgereifter wurde, kamen mir zunehmend Zweifel an der Sache. Ich begann, Versuche durchzuführen, wollte wissen, ob sich der Eingriff wieder … rückgängig machen lässt. An lebenden menschlichen Versuchspersonen habe ich das Verfahren bisher allerdings noch nicht getestet, nur an tierischem Gewebe. Aber ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass es machbar ist. Wir haben Ihre Neuronen eingefroren, und sie werden in wenigen Stunden absterben. Aber wenn ich sie jetzt mit demselben Gerät sofort wieder auftaue, kann ich den Vorgang möglicherweise rückgängig machen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass Sie dadurch in Ihren … kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt werden und bleibende Schäden davontragen. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Sie den Eingriff … nicht überleben. So leid es mir tut, aber ich kann für nichts garantieren. Ich glaube zwar, dass es klappen wird, aber versprechen kann ich es Ihnen nicht.« Er seufzte. »Es ist eine Frage des Glaubens.«
Über die Gruppe legte sich nachdenkliche Stille.
Niemand sagte etwas.
Jake starrte auf den schneeumwehten Berggipfel. Auf den Berggipfel, den festzuhalten, zu vermitteln, zu fotografieren es ihn nicht drängte. Er musste an das Blut auf den Grashalmen denken. An das Blut und die Knochensplitter.
Dann blickte er in den finsteren Schlund der Schlucht, in den sie Tyrone
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