Bibel der Toten
sein Angkor aus. »Où sont les neiges d’antan?«
Jake kannte das zur Genüge. Ty, der seine Pülverchen immer in den höchsten Tönen pries. Er lenkte das Gespräch auf ergiebigeres Terrain. Er wollte unbedingt Erklärungen.
»Jetzt sag schon endlich, was hältst du von dem Ganzen? Von den Krügen und so?«
»Na ja, offensichtlich lag der laotischen Regierung sehr viel daran, dieses Forschungsvorhaben – also Chemdas Projekt – zu verhindern.«
»Das liegt auf der Hand.«
»Die kommunistischen Lao, die Pathet Lao, sie sind dort oben immer noch an der Macht. Und falls sie in den siebziger Jahren in Laos irgendwas Suspektes angestellt haben sollten, werden sie natürlich alles daransetzen, es nicht an den Tag kommen zu lassen. Auch heute noch.«
»Das sehe ich genauso.«
Tyrone setzte sich zurück. Er hielt die leere Bierflasche immer noch in der Hand.
»Da hast du deine Antwort doch schon. Einerseits hat die Regierung den zwei Professoren ordentlich Angst eingejagt und ihre Familien bedroht. Und andererseits hat man von Seiten der Kambodschaner – und der Vereinten Nationen sowie den Opfern der Roten Khmer – ordentlich Druck auf die beiden armen Teufel ausgeübt, zur Aufklärung dieser Verbrechen beizutragen.« Tyrone nahm von einem Kellner ein frisches Angkor Lager entgegen. »Da ist es kein Wunder, dass die beiden eingeknickt sind. So viel Druck von allen Seiten. Hört sich ganz so an, als hätte dieser verkehrt herum aufgehängte Typ sich aus Schiss das Leben genommen, weil er keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat – vor allem, nachdem er erfahren hat, dass die Krüge wiederentdeckt worden sind. Aber ich denke, du hast recht mit deiner Vermutung, dass er mit der Art, wie er sich umgebracht hat, eine Botschaft übermitteln wollte; dieses Blutablassen ist eine beliebte Tuol-Sleng-Folter. Damit wollte er dir zu verstehen geben, dass es die Kommunisten waren, die ihn unter Druck gesetzt haben. Ein letzter verzweifelter Fingerzeig.«
»Genau so muss es gewesen sein. Allerdings … Chemda ist sich nicht ganz so sicher, dass es Selbstmord war.«
»Also ich glaube, dass du richtig liegst. Aber was ist sechsundsiebzig dort oben eigentlich genau passiert? Der absolute Wahnsinn. Und dieses tote Baby an deiner Zimmertür. Was sollte das eigentlich? Was war das denn für eine Klitsche von Scheißhotel? Vielleicht machen die das bei allen Gästen, sozusagen zur Begrüßung. Wie diese Schokoladetäfelchen auf dem Kopfkissen …«
Tyrone lachte über seinen eigenen schwarzen Humor. Jake war nicht zum Lachen zumute; dafür hatte er nicht mehr den Nerv.
»Aber warum haben sie uns nicht einfach ausgewiesen, Ty? Warum haben sie uns in Phonsavan laufengelassen …«
Zwischen ihnen sirrten schwarze Moskitos. Tyrone schlug gereizt um sich und dachte laut nach: »Nehmen wir mal an, sie hatten vor, euch rauszuwerfen. Aber bevor sie dazu gekommen sind, seid ihr bereits los und zu den Krügen gefahren. Das wäre eine Möglichkeit. Und natürlich wussten die laotischen Cops zu diesem Zeitpunkt bereits ganz genau, wer Chemda ist. Eine Sovirom. Eine Familie, mit der man sich lieber nicht anlegt. Wenn du allein gewesen wärst, hätten sie dich einfach in den Keller runtergebracht und ihre Torquemada-Nummer bei dir abgezogen.«
Jake setzte sich zurück. Ty hatte recht. Paradoxerweise war er von Chemda gerettet worden. Sie hatte ihn zuerst in Gefahr gebracht und dann gerettet. Und der Gedanke an Chemda leistete seinen Ängsten weiteren Vorschub. Als er ihr im Flugzeug erzählt hatte, was er von Pang über ihre Großmutter erfahren hatte, war sie erstaunlich gelassen, fast gelangweilt gewesen. Aber mit einem Anflug von Traurigkeit und Verwunderung.
Und er wusste, dass sie, während er hier mit Ty redete, nur ein Stück die Straße runter gerade ihre Familie zur Rede stellte; in ihrer großen Villa hinter den riesigen, hässlichen Betonpagoden des Cambodiana Hotel. Dass sie ihnen alles erzählte, was sie herausgefunden hatte. Wussten sie möglicherweise schon Bescheid? Wie würden sie reagieren? Jake sah wieder auf die Uhr. Er überlegte, ob er Chemda anrufen sollte. Aber vielleicht sollte er lieber warten, bis sie ihn anrief.
Tyrone erriet, was in ihm vorging.
»Ahhh … vermisst du sie etwa bereits? Sag bloß.« Der Amerikaner grinste. »Jake und Chemda, händchenhaltend.«
Jake versuchte das Ganze mit einem lässigen Lachen herunterzuspielen, was ihm aber nicht gelang. Er konnte Tyrone nichts vormachen, denn er wusste,
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