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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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gekommen, vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist die Sache ernst. Wenn du dann noch den Tod des Professors dazu nimmst – egal, ob es Mord oder Selbstmord war –, hast du einen schwerwiegenden Zwischenfall. Vielleicht kehrt die laotische Regierung das Ganze allerdings lieber unter den Teppich, als es an die große Glocke zu hängen.« Er sah Jake forschend an. »Das wäre durchaus möglich. Aber vielleicht wollen sie es auch nicht unter den Tisch kehren. Sie könnten sich an die kambodschanischen Behörden wenden und sie bitten, dich an sie auszuliefern. Oder es erzählt auch nur jemand jemandem davon … und der wiederum heuert einfach jemanden an. Wahrscheinlich solltest du künftig auf dem Monivong Boulevard lieber auf der Hut sein.«
    Der Skorpion der Angst huschte unter den Kragen von Jakes Hemd und seinen Rücken hinunter. Unwillkürlich schauderte er. Der rothaarige, kriegserprobte alte Tyrone McKenna hatte zweifellos recht. Sei auf dem Monivong auf der Hut.
    Jake stand auf. Er fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut, ganz und gar nicht mehr.
    »Ich gehe mal pinkeln.«
    Damit drehte er sich um und ging auf die Toilette. Er zog seinen Reißverschluss auf und seufzte; angespannt spähte er aus dem Klofenster auf den Fluss hinaus. Auf beiden Ufern wimmelte es von Menschen. Arme Familien brieten über trockenen Grasbüscheln Eier. Überall brannten Lagerfeuer. Straßenverkäufer priesen ihre Gestelle mit durchsichtigen getrockneten Kalmaren an. Getrocknet und träge baumelnd, wie die kun krak .
    Jake spürte, wie sich der Skorpion unter seinem Hemd wieder zu regen begann. Die Angst. Diese Stadt. Sie ging ihm immer unter die haut. Mit ihrem Chaos, der Energie und Exotik hatte Phnom Penh etwas absolut Faszinierendes, aber zugleich zehrte die Stadt an einem. Am Tag bedrohlich und zu jeder Tageszeit angsteinflößend. Eine Stadt, überschattet von einer ungewissen Zukunft – und einer tragischen und entsetzlichen Vergangenheit.
    Auf den dichtbevölkerten Boulevards dort unten, auf dem Monivong und dem Sisowath und dem National Highway 5, hatten die Roten Khmer an zwei glühend heißen Tagen im April 1975 zwei Millionen Menschen aus der Stadt getrieben: Sie hatten die ganze Hauptstadt geräumt, sobald der Bürgerkrieg gewonnen war. Menschen wurden aus ihren Krankenhausbetten gekippt und zum Gehen gezwungen. die Älteren, die damit Mühe hatten, wurden einfach im Rinnstein liegen gelassen, wo sie an Dehydrierung starben. Kinder gingen in dem Chaos verloren und wurden nie wiedergefunden. Die Hauptstadt wurde geleert, die Gesellschaft wurde zerschlagen, alles wurde aufgelöst. In zwei Tagen.
    Sogar die Zentralbank sprengten sie in die Luft, zerstörten das ganze Geld im Land, ließen Geldscheine und Staatsanleihen auf die kaputten Straßen regnen. Die Geldscheine hingen wochenlang wie alte Konfetti von den verwelkenden Palisanderbäumen. Geld war offiziell wertlos. Und dann trieben die Roten Khmer die ganze Nation in die Sklaverei und brachten ein Viertel der Bevölkerung durch Arbeit und Hunger zu Tode und erschlugen eine weitere halbe Million. Töteten ihre eigenen Eltern, ihre eigenen Söhne, ihre eigenen Brüder, ihre eigenen Familien. Verschlangen sich in einer Selbstzerstörungsorgie selbst. Die Nation, die sich selbst hasste. Die Nation, die sich selbst umbrachte.
    Sein Handy läutete. Es war Chemda.
    »Agnès hat gerade angerufen«, flüsterte sie aufgeregt. »Aus Luang.«
    »Und?«
    »Einer der Hotelangestellten, ein Page, hat alles zugegeben. Er hat diese … Dinger in unsere Zimmer gehängt.«
    »Aber warum …«
    »Er erhielt von der kra , der Neang Kmav von Skuon, den Auftrag, die Rauchbabys in unseren Zimmern aufzuhängen.«
    »Wer? Wer hat ihn damit beauftragt?«
    Die Verbindung rauschte und wurde kurz unterbrochen. »Sorry, Jake, ich …« Die Stimme war weg, dann kam sie zurück. »Meine Mutter weint. Die ganze Familie ist fassungslos. Ich muss jetzt Schluss machen – vielleicht komme ich später noch mal dazu, dich anzurufen …«
    Die Verbindung wurde unterbrochen. Jake wartete einen Moment und noch einen Moment, doch nichts tat sich. Er steckte das Handy ein und kehrte zu seinem Barhocker zurück. Sein Teller pad thai stand auf dem Tisch. Tyrone machte sich bereits über seinen Burger her. Jake griff nach Messer und Gabel, aber er hatte keinen Appetit mehr. Sein Magen war voll von flatternden Nerven. Er hatte sich bereits an Angst überfressen.
    Er erzählte Tyrone, was Chemda ihm berichtet

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