Bibel der Toten
haben: der arb , ein im Wasser treibender Frauenkopf, der eine Spur aus Blut hinter sich herzieht …«
Jetzt wurde es Jake zu bunt. Halb beschämt, halb wütend merkte er, dass er der Hexe in seiner Naivität voll in die Falle getappt war. Sie hatte Erkundigungen über ihn eingezogen. Sie war nicht mehr als eine abgeschmackte Scharlatanin.
»Das sind doch alles bloß billige Tricks, Ty. Diese Spinnen fressende alte Schachtel will uns nur verarschen.«
»Jetzt reg dich doch nicht gleich so auf.«
»Und ob ich mich aufrege. Das Ganze stinkt zum Himmel. Sie hat irgendwelchen Tratsch über mich gehört. Und jetzt versucht sie, mir damit Angst einzujagen …«
»Ich habe dich gewarnt. Diese Leute verdienen nicht umsonst einen Haufen Geld.«
»Na schön, dann wollen wir ihr auch ein bisschen Angst machen. Was diese blöde alte Hexe kann, können wir schon lange. Fragen wir sie einfach mal ganz direkt nach den Rauchbabys. Dann werden wir ja sehen, ob sie sich auf einmal an ihren blöden Spinnenbeinen verschluckt.«
»Aber Jake … das ist sehr riskant …«
»Sag ihr, dass wir Bescheid wissen!«
Tyrone zögerte zuerst. Doch dann drehte er sich zu der Frau herum und bombardierte sie mit Fragen, mit bohrenden Fragen. Aus dem Interview wurde ein Verhör. Die Armreifen der Hexe klimperten laut, als sie aufgebracht mit der Hand zu fuchteln begann. Ihre Zähne waren von den frittierten Taranteln schwarz verfärbt. Aber das kümmerte sie nicht. Sie machte einen sehr wütenden Eindruck, doch sie nannte ihnen keine Namen. Jake hörte keinen einzigen Namen aus dem Strom der Khmer-Konsonanten heraus.
Plötzlich klatschte die Hexe zweimal in die Hände, als wollte sie ihre Sekretärin oder einen Leibwächter rufen. Und ihre Stimme wurde auf einmal ganz tief, ein seltsames gutturales Murmeln, ein Knurren, das kaum mehr etwas Menschliches hatte.
»Was soll das jetzt wieder?«
Unwillkürlich wich Tyrone zurück.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht – vielleicht belegt sie uns mit einem Fluch oder sonst irgendeinem Zauber. Komm – lass uns lieber abhauen!«
Jakes Wut über die Alte war jetzt größer als seine Angst.
»So leicht lasse ich mich nicht einschüchtern, schon gar nicht von dieser Spinnen fressenden Tante.«
»Also, ich finde, wir sollten lieber gehen.«
Die Hexe wiegte sich jetzt von einer Seite auf die andere; ihr Knurren schwoll zu einem wilden Zischen an, und sie deutete mit einem lackierten Fingernagel auf ihre Besucher. Aber Jake war nicht mehr zu beeindrucken. Er fuhr die Alte an:
»Wer hat diese Babys bestellt? Wer war das?«
Sie zischte weiter zwischen ihren spinnenfleckigen schwarzen Zähnen hindurch. Wie eine Schlange, bereit, jeden Moment zuzubeißen.
»Wer war es? Wer hat die kun krak bestellt? Die Rauchbabys? Von wem kam der Auftrag?«
Tyrone packte Jake am Arm, aber Jake schüttelte seine Hand unwirsch ab.
»Ty. Tu du es! Frag du sie! Sag ihr, dass wir einen Artikel über sie veröffentlichen, wenn sie uns nicht hilft, und dass wir sie darin beschuldigen, dass sie schwangeren Frauen ihre Babys aus dem Bauch …«
»Aber …«
»Und droh ihr.«
Ein Ruck ging durch Tys ganzen Körper, als nähme er plötzlich Habtachtstellung ein; dann wirbelte er herum, schleuderte der Hexe die Frage entgegen und sprach die Drohung aus.
Schlagartig wurde ihre Miene vollkommen starr. Ihre Augen wurden kalt wie Eis vor Hass. Jake fragte sich, ob sie gleich ohnmächtig würde oder zu schreien anfinge und sie erneut verfluchte. Stattdessen sagte sie sehr langsam und deutlich:
»Madame Tek.«
Darauf setzte das infernalische Schlangenzischen wieder ein. Jake packte seine Kameras zusammen, Tyrone schnappte sich seinen Notizblock, und sie rannten zum Ausgang – ohne sich um die Proteste der im Flur lauernden Sekretärin zu kümmern.
Die Tür knallte hinter ihnen zu, und nach der eisig kalten Luft in der Villa der Hexe umfing sie die Hitze sofort mit voller Wucht.
»Das kann doch nicht sein!«, stieß Jake atemlos hervor. »Kannst du dir vorstellen, dass tatsächlich sie die Rauchbabys in Auftrag gegeben hat?«
Tyrone war stehen geblieben und zuckte mit den Achseln. »Doch. Schon. Es war Chemdas Mutter , Jake.«
16
S obald sie aus Skuon zurück waren, rief Jake Chemda an. Es war dunkel. Er saß in seiner spärlich eingerichteten Wohnung über dem Tonle Sap an seinem leeren Schreibtisch und murmelte die unglaubliche Neuigkeit ins Telefon.
»Chemda, es tut mir leid.«
»Sie hat tatsächlich gesagt,
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