Bibel der Toten
sich gedacht, was soll’s, brate ich doch mal so ein fettes achtbeiniges Scheißvieh und esse es. Und nach und nach sind sie auf den Geschmack gekommen, und jetzt gelten die Spinnen als Delikatesse. Die Leute kommen von weit her, um die Dinger zu kaufen.«
Er hob eine Hand. »So. Ich werde mich mal umhören. Rausfinden, wo ihr Haus ist. Wartest du hier so lange?«
Mit hier waren ein paar schmuddlige Plastiktische gemeint, die vor einer Bierkneipe aus Beton standen. Jake nahm an einem von ihnen Platz und beobachtete, wie sein Freund sich entfernte. Weil Tyrone ein bisschen Khmer konnte, wollte er das lieber allein erledigen; Jakes stummes Beisein würde die Leute möglicherweise nur verunsichern. Also blieb Jake nichts anderes übrig als zu warten. Und zu schauen. Und zu schwitzen. Und zu warten.
Die Sonne war unerträglich heiß. Jake rutschte mit seinem kleinen Stuhl in den Schatten eines roten Sonnenschirms. Er bestellte ein Angkor-Bier. Ärgerlicherweise war es warm. Er ließ es ungetrunken stehen und schaute sich um. Am Nebentisch saßen zwei Kids, die mit Strohhalmen 7 Up tranken und Jake mit ausdruckslosen, kalten Augen beobachteten.
Auf der anderen Seite des Rondells hockten auf einem kleinen, verwahrlosten Grundstück mehrere wild durcheinanderschreiende Männer im Kreis, die Wetten abschlossen und tranken.
Ein Hahnenkampf.
Verstohlen griff Jake nach seiner Kamera und machte heimlich ein paar Fotos. Die Männer gestikulierten aufgeregt und riefen Nummern. Ein kleiner Staubwirbel in ihrer Mitte zeigte an, wo die Hähne kämpften. Jake holte mit verschwitzten Händen das Teleobjektiv heraus und setzte es hastig ein.
Da. Jetzt konnte er die Hähne sehen, wie sie aufeinander losgingen. Einer hatte dem anderen offenbar ein Auge ausgehackt; der besiegte Hahn stand mit gesenktem Kopf halbblind da, blutend und sterbend. Eine Hand schoss auf den siegreichen Gockel hinab und sammelte ihn ein. Die Männer lachten und stießen an, und Bündel labbriger RielScheine wechselten den Besitzer. Dem halbblinden Hahn wurde verächtlich der Hals umgedreht. Er flatterte ein letztes Mal im Staub.
»Ich weiß, wo ihr Haus ist.«
Es war Tyrone.
»Das ging aber schnell …«
»Ist ja auch ein Kaff hier. Jeder kennt sie. Sie wohnt gleich um die Ecke. Ich habe sogar schon mit ihrer sogenannten Sekretärin gesprochen.« Tyrone atmete geräuschvoll aus. »Okay, dann lass uns mal. Ich muss sagen, dieser Ort gefällt mir ganz und gar nicht. Hier sind unter den Roten Khmer jede Menge Leute gestorben. Irgendwie keine gute Atmosphäre.«
»Und? Die Hexe?«
»Ihre ›Sekretärin‹ hat gesagt, wir können eine halbe Stunde mit ihr reden. Wir müssen also schnell machen.«
Der Weg war kurz. Zweihundert Meter sandiger Straße, gesäumt von Läden, in denen Pringles, Flaschen mit Trinkwasser und Taranteln verkauft wurden, führten sie zu einem großen geschmacklosen weißen Haus mit pseudokorinthischen Säulen. Wie eine besonders scheußliche Villa in Miami.
Jake spürte einen Hauch von journalistischer Enttäuschung. Irgendwie hatte er sich etwas Schrägeres und Exotischeres erhofft, ein pittoreskes Fotomotiv, eine alte räucherstäbchenverrußte Hütte, große Kessel, in denen Schlangen gekocht wurden, Hühnerblut an den Wänden. Keine Villa im Drogendealerschick.
Die große neue Holztür war in einem penetranten Blau gestrichen. Sie ging auf. Eine junge Frau mit sehr, sehr dunklen Augen nahm sie in Empfang und bat sie hinein.
Das Haus war klimatisiert. Gnadenlos. Es war unangenehm kalt, als wollte die Besitzerin damit etwas beweisen. Jake spürte den eisigen Luftzug an seinen nackten Armen.
Das Mädchen führte sie einen Gang mit kitschigen Gemälden von Buddha und Jesus und Prinzessin Diana entlang und deutete dann in ein großes Zimmer.
Die Spinnenhexe von Skuon war eine Frau mittleren Alters, die zu viel Make-up und Schmuck trug. Ihre Augen wirkten leicht chinesisch. Seltsam adrett und beinahe schelmisch saß sie, die Beine wie ein Mädchen unter ihren Körper gezogen, auf einem Ledersofa. Ihr türkisfarbener Sweater war mit Paillettenherzen verziert; an ihrer goldenen Halskette hing ein Glasamulett: ein monastischer Glücksbringer. Jake vermutete, dass sie möglicherweise älter war, als ihr Gesicht vermuten ließ. Eine alte Frau, die es sich leisten konnte, sich liften zu lassen.
Die Hausherrin reichte ihnen zur Begrüßung eine kalte Hand. Die königliche Geste brachte die Armreifen an ihrem Handgelenk leise zum
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