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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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es war meine Mutter?«
    »Ja, so leid es mir tut.«
    Für einen Moment war Chemda vollkommen still; so still wie der Tonle Sap. Jake schaute aus dem Fenster, auf das Spiegelbild des gelbsüchtigen Monds im schläfrigen Wasser.
    »Aber das ergibt doch keinerlei Sinn. Was sollte meine Mutter dazu veranlasst haben, die kun krak in unseren Zimmern aufhängen zu lassen? Ich … also … warum sollte sie versucht haben, uns solche Angst zu machen? Und was hat das mit Professor Samnang zu tun? Ich verstehe das alles nicht.«
    Jake wusste auch keine Antwort. Er murmelte ein paar tröstende Worte, ein paar hohle Mitgefühlsbekundungen. Aber Chemda wollte kein Mitgefühl; ihre nächste Reaktion war wesentlich überlegter – und sehr energisch.
    »Bitte komm morgen zu mir nach Hause. Ich brauche deine Hilfe. Ich werde sie zur Rede stellen.«
    »Was?«
    »Ja, das Ganze ist einfach zu verrückt. Jake – ich kann nicht mit diesem Wissen leben. Ich möchte unbedingt Klarheit haben, was genau es damit auf sich hat …«
    »Und wie soll ich dir dabei helfen?«
    »Sei einfach mein Freund. Bitte. Ich brauche einen Freund. Einfach einen Freund. Das wird sehr schwer für mich werden.«
    Auch wenn das alles ziemlich beunruhigend war, hörte es sich verlockend an.
    Mit einem tiefen Seufzer erklärte Chemda ihm, ihr Großvater sei wie üblich auf Geschäftsreise, sie habe sonst niemanden, an den sie sich wenden könne, und sie wäre sehr froh über Jakes Unterstützung, über seine bloße physische Präsenz.
    Sie sagte es zwei Mal: seine physische Präsenz . Ein Mann. An ihrer Seite.
    »Bitte. Kommst du?«
    Die letzten Worte sagte sie sehr leise. Sinnlich, dunkel, gehaucht.
    Fast hatte Jake das Gefühl, dass sie ihn hypnotisierte, in eine ganz bestimmte Richtung lotste. Unwillkürlich musste er an ihre Flucht aus Luang denken, wie Chemda schlafend im Boot gelegen hatte. Ihre nackten Beine. Er musste an die Apsaras in Angkor Wat denken, die barbrüstig tanzenden Mädchen König Jayavarmans, die in lächelnder Undurchschaubarkeit ihre Verführungskünste spielen ließen, betörend geschmeidig, verlockend und göttlich. Und ewig unerreichbar.
    Doch er streckte die Arme aus.
    »Na gut, wenn du meinst, Chem. Ich komme.«
    »Danke, Jake. Das rechne ich dir hoch an. Danke.«
    Voller Vorahnungen und mit aufkeimendem Verlangen klappte er das Handy zu und riss sich vom Anblick des dunkel dahinströmenden Flusses los, um sich mit Recherchen in seinem Laptop abzulenken.
    Er durchforstete das Internet nach Informationen über die Ebene der Tonkrüge, die verbrannten Knochen. Er stellte Recherchen über aufgebohrte Schädel an. Er sah sich Trepanationen an, studierte schaudernd die medizinischen Abbildungen von geöffneten Schädeldecken, starrte auf abgetrennte menschliche Köpfe, die körperlos auf dem Bildschirm schwebten. Er schockte sich selbst mit Schilderungen fehlgeschlagener neurochirurgischer Eingriffe: Lobotomiepatienten, die wie Chemdas Großmutter als sabbernde Zombies endeten.
    Das alles brachte ihn jedoch nicht weiter. Er machte den Computer aus und suchte Zuflucht beim Alkohol, in der Hoffnung, seine aufgewühlte Seele mit etwas australischem Wein in den Schlaf lullen zu können. Doch die Nacht wurde lang und unruhig.
    Aus irgendeinem Grund wachte er um drei Uhr morgens heftig schwitzend auf. Wurde er krank? Als er mit dem Laken über seine schweißüberströmte Stirn wischte, war es klatschnass. Von draußen drangen leise Stimmen zu ihm. Was hatte das zu bedeuten? Er ging ans Fenster und spähte auf die nächtlich schwüle Straße hinab. Es war niemand zu sehen. Nur die Mondschatten im Wind raschelnder Palmen und lange Reihen geparkter Mopeds. Ein herrenloses Ruderboot trieb den Tonle Sap hinunter.
    Er legte sich wieder ins Bett. Kämpfte sich in mühseligen Schlaf.
    Früh am nächsten Morgen ging er auf einen sonnigen, sonntäglich leeren Sisovath Boulevard hinaus und stieg beklommen in ein Tuk-Tuk, das auf der Uferpromenade nach Süden fuhr.
    Das Haus der Tek- und Sovirom-Dynastie befand sich sinnigerweise in der Nähe des Palastgartens und der Botschaften; es war die mit Abstand exklusivste Gegend der ganzen Stadt, wo sich der Mekong mit seinen Schwesterflüssen Brassac und Tonle Sap zu einem trägen Wassertroilismus vereinigte.
    Der Familiensitz der Soviroms war von weiß gekalkten Mauern umgeben. Jake klingelte und sagte einer winzigen Kamera guten Tag. Die schwarzen Torflügel öffneten sich lautlos. Er überquerte eine üppig

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