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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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braungelben Wasser sammelten Cham-Fischer im Schlamm steckende Bambusreusen ein. Hinter den schiefen Palmen standen hölzerne Pfahlbauten. Dunkle Häuser, aus deren leeren Fensteröffnungen faltige Gesichter lugten: alte Cham-Frauen in eigenartigen weißen Gewändern und Schleiern.
    Schleudernd und schaukelnd wich das Auto einem barfüßigen Kind aus. Das Mädchen war hinter einer Kaktushecke hervor auf die Straße gelaufen.
    »Pahhhh«, entfuhr es Jake, »das war knapp.«
    »Glück gehabt«, sagte Tyrone. »Das Einzige, woran man sich nie gewöhnt, sind diese Scheißstraßen – diese ständige Gefahr.«
    Jake sah im Rückspiegel, wie das Mädchen hinter ihnen verschwand. Es spielte mit einem Ball und war sich nicht im Geringsten bewusst, wie knapp es gerade dem Tod entronnen war.
    Ihn schauderte. Seine kleine Schwester hatte nicht so viel Glück gehabt. Sie war auf die Straße geschleudert worden, und danach waren ihre Augen starr auf ihren großen Bruder gerichtet geblieben, der sie nicht festgehalten hatte. Der sie in den Tod hatte rennen lassen.
    »Alles klar?«, fragte Tyrone.
    Jake zuckte mit den Achseln. »Musste grade an Becky denken.« Er hatte Tyrone vor langer Zeit einmal etwas von dieser alten Geschichte erzählt, von seinen regelmäßigen Schuld- und Trauerattacken. Allerdings hatte er Tyrone nicht so viel erzählt wie Chemda.
    »Ach ja, immer diese Familientragödien!«, sagte der amerikanische Journalist seufzend. Dann räusperte er sich, sehr nahrhaft, und spuckte aus dem Fenster. »Irgendwie fragt man sich da schon, wozu Familien eigentlich gut sein sollen? Was hat man von ihnen zu erwarten außer Leid und Schuldgefühlen? Was haben sie unterm Strich zu bieten?«
    »Wie wär’s zum Beispiel mit Liebe und Geborgenheit?«
    »Klar. Liebe und Geborgenheit. Klasse. Und belegte Brote. Ist doch alles Quatsch. Du musst nach vorn schauen, Jake. Der einzige Ausweg ist, dass man versucht zu überleben. Hat auch Duch gesagt. Weißt du noch, beim Rote-Khmer-Prozess letzte Woche? Er mag zwar ein widerwärtiger Massenmörder gewesen sein, aber in diesem Punkt hat er eindeutig recht. Er könnte genauso gut über die gängige Durchschnittsfamilie gesprochen haben. Der einzige Ausweg aus den Schrecken deiner Kindheit ist, dass du überlebst.«
    Die Palmen wurden spärlicher, das Flussland trockener. Der Wagen bog einmal links und einmal rechts ab und holperte über eine der katastrophalsten Straßen Südostasiens weiter, bis schließlich im staubdurchsetzten Dunst vor ihnen eine weitere armselige kambodschanische Stadt auftauchte.
    Skuon.
    Sie erreichten den Hauptplatz, eigentlich nur ein in der Sonne schmorendes Rondell mit mehreren Garküchen, zwei Friseuren und einer Reihe alter Busse, die unter staubigen Palmen vor ein paar Bierbuden standen. Jake und Tyrone stiegen aus und streckten sich, und schon waren sie von einer Meute kambodschanischer Frauen umzingelt. Junge Frauen, alte Frauen, dicke Frauen, dünne Frauen, und alle balancierten Blechtabletts auf ihren Köpfen. Auf diesen Tabletts waren Pyramiden frittierter, mit Rosenblättern verzierter schwarzer Taranteln aufgeschichtet.
    »Sie tunken sie in Knorr-Tütensuppe«, sagte Tyrone und gestikulierte abwehrend. »Nein, aw kohn , keine Spinne, aw kohn , nicht heute …«
    Er drehte sich um und signalisierte dem Fahrer: warten . Jake starrte auf die Tabletts, auf denen sich dicke, hässliche, fetttriefende schwarze Spinnen türmten. Die Frauen deuteten lächelnd auf die Spinnen und bettelten die Männer mit flehentlichen Blicken an, sie zu kaufen.
    »Nein. Nein danke …« Jake wich vor den Frauen zurück. »Was haben sie hier bloß mit ihren Taranteln?«
    »Erzähl ich dir gleich. Aber lass uns erst mal von hier verschwinden. Bevor sie uns noch nötigen, eins von diesen Viechern in einem Sandwich zu essen.« Tyrone hatte ihrem Auto, den Frauen und den Tabletts mit den fetten Spinnen bereits den Rücken gekehrt und ging eine verschlafene, in der Sonne flirrende Straße hinunter.
    »Die Spinnen gelten hier schon seit alters her als Delikatesse«, erklärte er Jake im Gehen. »Zumindest erzählt man sich das. Ich glaube vielmehr, dass dieser Brauch auf die Roten Khmer zurückgeht. Ende der siebziger Jahre haben in Kambodscha alle gehungert – wirklich alle. Aber die Leute durften nicht mal ihren eigenen Reis essen, sonst wären sie von den Rote-Khmer-Soldaten erschossen worden. Deshalb, schätze ich mal, hat eines Tages jemand so eine Tarantel ausgegraben und

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