Bienensterben: Roman (German Edition)
Bild zu sehen, stell mir vor, wie sie sich an das Leben hinter diesem Foto erinnern würde, und ich stell mir vor, wie es sie fertigmachen würde. Sie hat uns erzählt, wie er sie geschlagen hat, sie und ihre Mutter. Kann ja sein, dass er seine Sünden bereut, aber es ist zu spät, um sie wiedergutzumachen, nur dass er das noch nicht weiß. Aber ich weiß es und Nelly auch. Es ist erbärmlich und traurig, aber nicht für ihn. Für seine Tochter, tot und noch nicht richtig begraben. Ich will rauchen und trinken und hab das Gefühl, ich kann nicht. Er soll einfach nur gehen, aber Lennie verteilt Tassen und Untertassen, Feuerzeuge und Aschenbecher. Scheiß drauf, denk ich mir und hol eine Zigarette raus, mal sehen, wie Grandpa reagiert. Er zuckt ein bisschen zusammen, und als ich ihm eine anbiete, lehnt er ab und sagt, er hätte aufgehört, als er Jesus gefunden hat.
Ich rauche meine Kippen und sehe ihm dabei in die Augen; es kommt mir vor, als wären wir zwei Cowboys auf irgendeinem staubigen Weg, die sich gegenseitig abchecken, bevor sie losballern. Meine Pistole ist geladen. Da brauch ich nicht nachzugucken, die Munition ist eine tote Tochter. Keine Ahnung, was seine Munition ist.
»Uns hat sie gesagt, Sie wären tot.«
»Nun, das bin ich nicht«, sagt er.
»Offensichtlich nicht«, gebe ich zurück.
»Dieser Kuchen ist wirklich ein Gedicht, Lennie«, sagt Nelly, um die Atmosphäre aufzulockern, nur dass es nach hinten losgeht. »Du bist ein wahrer Küchenmeister, alter Knabe. Ist er nicht eine Entdeckung, Mr. Macdonald?«
Für einen Moment sagt er gar nichts, es hat ihm die Sprache verschlagen wie jedem, der Nelly zum ersten Mal erlebt. Er guckt nur und kapiert gar nichts. Dann nickt er.
»Wirklich sehr lecker«, sagt er zu Lennie.
Nelly lächelt mich an, mit so einem wissenden Blick in den Augen. Von uns wird dieser Fremde nie erfahren, wo Izzy ist. Das bleibt unser Geheimnis, nur unseres.
Lennie
Die Mädchen waren alles andere als begeistert, als sie morgens aufstanden und ihn auf dem Sofa sitzen sahen, vor allem Marnie, aber es ist mein Haus und ich kann zu Gast haben, wen ich will. Jedenfalls war er kreidebleich und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als er sie sah. Sie ist Isabel als Kind so ähnlich, dass er halb zu Tode erschrocken war, und das hat mich ziemlich erstaunt, denn sie sehen sich heute kein bisschen mehr ähnlich. Wir hatten den ganzen Abend nur geredet. Ich musste mir erst einmal ein Bild von ihm machen. Die Mädchen beschützen. Er ist nicht ganz sauber. Das sehe ich an seinem Blick.
Zuerst schnitt ich das Thema Politik an. Erzkonservativ ist er, und sehr gläubig. Dann erzählte er von seinen Reisen und glaubte wahrscheinlich, es würde mich faszinieren, aber ich bin selbst ein bisschen rumgekommen und war nicht allzu beeindruckt. Ich fand, er wirkte irgendwie gebrochen, an verborgenen Stellen gebrochen. Und ich fand ihn öde.
Er verdient nicht schlecht mit dem, was er macht, und redete sehr freimütig über sein Einkommen. Er will seiner verlorenen Tochter einen ordentlichen Batzen davon schenken und glaubt, es wird etwas bewirken, sie vielleicht verändern, aber das wird es nicht, und eine solche Summe ist es ohnehin nicht. Aber er hat ausgesorgt, kann ein Haus unterhalten und sich einen ruhigen Lebensabend machen. Robert hat einen Stand auf dem Barras-Markt, die Werkstatt brummt, und einen Lehrling, auf den er sehr stolz ist, einen jungen Burschen von der Straße, wie er sagt. Er zahlt ihm einen kleinen Lohn dafür, dass er sich um den Stand kümmert, und lehrt ihn das Handwerkszeug. Der Junge wohnt in seiner Werkstatt. Robert sagt, er ist der geborene Tischler. Es ist wunderbar, so etwas für ein Kind zu tun, und das hat mich tatsächlich beeindruckt, aber alles andere? Er mag schon liebenswürdig sein, ja, aber der Mann hat irgendetwas Seltsames an sich, das spüre ich, irgendetwas Verbittertes, und das irritiert mich. Er sagt, er hat eine Internetseite und nennt sich der Tartan Craftsman . Die Amerikaner rennen ihm die Bude ein, aber um die Aufmerksamkeit seiner Enkelinnen zu bekommen, braucht er mehr als einen originellen Namen, so viel weiß ich.
Offensichtlich interessiert er sich für die Mädchen, wobei er sicher nicht auf Nelly vorbereitet war, und es hat ihn sichtlich geärgert, dass Marnie raucht. Natürlich will er alles über Isabel wissen, aber viel habe ich ihm über seine Tochter nicht zu erzählen, und das bisschen, was ich weiß, wird er nicht hören wollen.
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