Bienensterben: Roman (German Edition)
Er ist voller Reue und Scham, und als er mir Geschichten von ihrer Mutter, seiner Ex-Frau, erzählte, tat mir das Mädchen sehr leid, wobei ich dann wieder das Bild vor Augen hatte, wie Izzy mit einer Flasche billigem Rotwein in diesem Einkaufswagen hockte, da bekam mein Mitgefühl einen Dämpfer.
Ob ich glaube, dass sie ihn vielleicht sucht, wollte er wissen. Ich schüttelte den Kopf. In diesem Moment habe ich ihn bedauert. Er tat es dann mehr oder weniger als Witz ab, aber ich wusste, er hatte es ernst gemeint.
Wir haben groß gefrühstückt. Das ist bei mir immer so: Würstchen, Speck, gebratene Brotscheiben und Eier. Ich bemühe mich im Moment verzweifelt darum, dass Marnie was auf die Rippen kriegt, das Mädchen ist ja nur noch Haut und Knochen. Ich glaube, sie ist magersüchtig. Neulich habe ich sie gefragt, ob alles in Ordnung sei mit ihr, und natürlich sagte sie Ja. Dann schnappte sie sich eine Scheibe Toast und weg war sie.
Sie sind die meiste Zeit hier. Schlüpfen zur Hintertür herein, damit die Nachbarn es nicht sehen. Nicht, dass die Nachbarn groß etwas sehen würden, genau genommen sind sie für das meiste blind, nicht zuletzt für die Abwesenheit zweier Rabeneltern und die Vernachlässigung von zwei verlorenen Kindern. Das beschäftigt mich ziemlich. Wem würde es anders gehen?
Marnie
Lennie hat Izzys Dad bei sich übernachten lassen. Ich wär fast umgekippt, als er auf einmal da auf dem Sofa saß. Was ich denn heute so vorhätte, hat er gefragt, und ich hab gesagt: »Nichts«, und bin zur Tür raus, bevor er noch mehr Fragen stellen konnte.
Was hat der hier zu suchen? Was will er? Auf jeden Fall hat der echt Nerven, hier einfach so aufzukreuzen. Was genau erwartet er denn? Dass Izzy ankommt und ihm in die Arme fällt? Würde sie wahrscheinlich sogar machen, so wie ich sie kenne. So war sie halt, konnte keinem was abschlagen, auch Gene nicht.
Er fragt uns andauernd, ob wir irgendwas brauchen, aber ich würde eher Scheiße fressen, als seine Kohle zu nehmen. Wenn er ein besserer Vater gewesen wäre, hätten wir vielleicht eine bessere Mutter gehabt, denk ich mir.
Und jetzt wird er hier rumhängen und auf sie warten, und wenn er merkt, dass sie nicht kommt, wird er noch mehr Fragen stellen. So eine Scheiße. Dass sich außer Mick kein Schwein dafür interessiert hat, wo Gene und Izzy abgeblieben sind, hat es immerhin leichter gemacht, sie im Blumenbeet zu verstecken. Wie sich rausgestellt hat, hat Gene für Mick verkauft, und als er »abgehauen« ist, schuldete er ihm noch einen Haufen Kohle. Angeblich geht es um mehrere Tausend, sagt Mick, aber es ist Kohle, die er Vlado schuldet, und solche Typen wie Vlado kümmert es einen Dreck, warum Mick nicht zahlen kann, deshalb musste Mick schon die Hälfte von dem Krempel in seiner Wohnung verkaufen, unter anderem einen echt coolen Flachbildfernseher, aber gereicht hat es trotzdem nicht. Neulich Abend ist Vlado sogar zum Eiswagen gekommen. Ich saß gerade hinten drin, hab ein bisschen gelernt. Er hat mir einfach das Buch weggenommen und es durchgeblättert, und dann hat er mich gefragt, was der Unterschied zwischen dem Durchmesser und dem Umfang eines Kreises ist.
»Der Umfang eines Kreises ist die Länge der Begrenzungslinie, die drumherum verläuft«, sage ich.
»Wie bestimmt man den?«
»Mit Hilfe des Mittelpunkts und des Radius.«
»Und in welchem Verhältnis steht der Umfang eines Kreises zu seinem Durchmesser?«
»Pi«, sage ich.
»Sehr gut«, sagt er und gibt mir das Buch zurück. Dann guckt er mich von oben bis unten an, wie neulich im Treppenhaus, und sagt: »Lernen ist doch besser, oder?«
»Kann schon sein.«
Er antwortet nicht, so als hätte er mit sich selbst gesprochen, oder gar nicht.
Als Mick dann aus dem Block zurückgekommen ist, hat Vlado ihn beiseitegenommen. Vlado ist größer als Mick, jünger und stärker. Er hat ein hartes Gesicht mit sanften Augen. Seine Haare sind dunkel und fein und fallen ihm ein bisschen ins Gesicht. Er trägt eine kurze Militärjacke. Lederstiefel. Riecht sauber, so als ob er gerade geduscht hätte.
Jedenfalls hab ich gemerkt, dass sie über mich reden, sie haben dauernd zu mir rübergeguckt und genickt und ein paarmal das Gesicht verzogen, und dann hat Vlado Mick den Finger in die Schulter gebohrt und ihn ein bisschen geschubst; ich weiß nicht, worum es ging, aber Mick sah aus, als hätte er Schiss. Als er wieder zu mir in den Eiswagen gestiegen ist, hab ich ihn gefragt, was Vlado für ein
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