Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
eine weitere Stunde im Büro. Die Fahndungen nach Zeil und Dietl liefen, Telefonate wurden am laufenden Band geführt, die Recherche hinsichtlich der Fair-Trade-Organisation, die in Cengiz’ Aufgabengebiet gefallen wäre, übernahm Stern. Demirbilek überlegte, ob er Jale in Istanbul damit beauftragen sollte, ließ es jedoch bleiben. Da die Website ins Englische übersetzt war, kam Stern, der im Gegensatz zu Leipold die Fremdsprache beherrschte, mit den Informationen zurecht. Außerdem hatte Demirbilek zwei Kollegen von der Wirtschaftskriminalität zur Unterstützung hinzugezogen. Er beneidete sie nicht um ihre Arbeit. Zu kompliziert, zu viele Stunden am Computer. Bildschirmtauglichkeit nannte sich das im Anforderungsprofil bei Stellenausschreibungen. Er bevorzugte handfeste Verbrechen. Dabei war die Nationalität der Täter und Opfer dem Leiter der Migra im Prinzip einerlei, auch wenn er dies niemals laut äußerte.
Demirbilek selbst war damit beschäftigt, seinem Vorgesetzten die zögerliche Haltung auszureden. Er war der Auffassung, die Migra müsse Zeil und Dietl in die Türkei folgen, die türkischen Behörden eingeschaltet werden. Weniger dagegen wollte handfeste Indizien. Das Reiseziel Antalya schien zwar eine Lüge zu sein, doch von einem Verbrecherpaar auf der Flucht wollte er nichts wissen.
Mitten in ihre Diskussion tauchte Vierkant auf. »Eine Kollegin hat gerade angerufen, um es gleich durchzugeben. Es gibt einen Zeugen, der Ömer Özkan in der Nacht am Wittelsbacher Brunnen beim Singen gesehen hat.«
»Beim Singen?«
»Mehr gelallt.«
Vierkant wollte sichergehen und konsultierte ihr Notizbüchlein. »Ich zitiere aus der Zeugenaussage, wir bekommen es noch schriftlich:
Der Mann stand am Brunnen, er war voll wie ein leeres Fass Bier.
Özkan hat ein türkisches Lied zum Besten gegeben.«
»War er allein?«
»Özkan? Ja. Der Zeuge hat sogar mit ihm gesprochen. Hat es zumindest versucht.«
»Was hat er gesagt?«
»Nichts, was er verstanden hätte. Der Zeuge versteht kein Türkisch. Er hat aber ausgesagt, das Lied sei sehr traurig gewesen. Überhaupt war Özkan ziemlich durch den Wind. Hatte Tränen in den Augen.«
Demirbilek stellte sich die nächtliche Szenerie vor und schüttelte den Kopf. Er wollte gerne wissen, welches Lied er gesungen hatte, doch dann kam ihm etwas Wichtigeres in den Sinn. »Sind seine Sachen gefunden worden? Geldbeutel, Papiere?«
»Ja, steht im Bericht. Sie sollten ihn mal bei Gelegenheit lesen.«
»Pass auf, Vierkant. Du kennst mich nicht lange, aber lange genug. In Zukunft sprich mit mir und schreib mir nicht!«
»Ich bin froh, wenn der Ramadan vorbei ist, das sage ich Ihnen jetzt ganz ohne Vorwurf«, entgegnete Vierkant mit Sanftmut in der Stimme.
»Ich auch, Vierkant, glaub mir! Also?«
»Ausweispapiere und Geldbeutel waren in seiner Jacke. Sie lag in der Mingabräu. Er hat sie liegengelassen, nachdem ihn Vester abgefüllt hat. Weil er keinen Spind hatte, haben wir sie nicht gleich gefunden. Nichts Besonderes darunter.«
»Gut, schick die Sachen seinen Eltern.«
Vierkant nickte und machte sich auf den Weg.
»Damit kommt die Bierleiche als Unfall zu den Akten. Schön, dass das endgültig geklärt ist«, resümierte Weniger, der dem Gespräch mit einem Ohr gefolgt war und mit dem anderen zwei Telefonate geführt hatte. »Und jetzt, Herr Demirbilek, finden Sie das Paar. Ich bereite die Presseerklärung vor«, setzte er hinzu und verschwand.
Demirbilek kontrollierte daraufhin die Uhrzeit und wies Leipold an, die Stellung zu halten. Dann rannte er aus dem Präsidium und überlegte, ob er sich ein Taxi leisten sollte, um Selma am Flughafen zu verabschieden, oder ob es gerechtfertigt war, einen Fahrer der Bereitschaft zu bemühen.
Er entschied sich für ein Taxi, um bei den laufenden Ermittlungen niemanden für seine Privatangelegenheit abzuziehen. Der Fahrer war begeistert über die zehn Euro zusätzlich, wenn er rechtzeitig den Flughafen erreichte. Unterwegs rief er Selma an, vermied es, den Ausfall seines Handys zu erwähnen, stattdessen versprach er, in spätestens dreißig Minuten bei ihr zu sein. Selma versuchte, ihn davon abzuhalten. Wenn alles gutginge, meinte sie, hätten sie höchstens ein paar Minuten Zeit.
»Jede Sekunde mit dir tut gut«, entkräftete Demirbilek ihr Argument. Dann legte er auf, bevor Selma ihm verbieten konnte, zu kommen.
Es war der letzte Tag der Fastenzeit. Aydin hatte beim gemeinsamen Frühstück von einem Auftritt am Abend erzählt.
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