Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
Er war fest entschlossen, diesmal sein Konzert nicht zu verpassen. Noch zwei Stunden musste er durchhalten. Gerade tippte er eine Nachricht an Özlem in sein Handy, um zu fragen, ob sie mitkommen wolle, als der Motor des Taxis zu stottern begann.
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I nzwischen regnete es in Strömen. Mitten im August.
Demirbilek hatte sich das Sakko in den Nacken hochgeschoben. Er saß an einem Biertisch unter einem Sonnenschirm, der den Dauerregen nicht daran hinderte, ihn nass zu spritzen. Außer ihm war im Nockherberg-Biergarten niemand zu sehen, der um diese Zeit normalerweise überfüllt war. Aber schließlich schüttete es ja auch.
»Der Sommer fühlt sich nicht richtig an«, sagte er niedergeschlagen zu der Bedienung, die wie er türkische Wurzeln hatte.
Derya Tavuk war Anfang dreißig, sie kannte den Kommissar als einen Stammgast mit undurchschaubaren Eigenwilligkeiten. Nur weil sie ihn gut leiden konnte, kam sie mit einem Regenschirm hinaus, um seine Bestellung aufzunehmen. Im großen Speisesaal hockte sein Kollege Leipold bei einem Weißbier. Er war nicht bereit gewesen, bei strömendem Regen draußen zu sitzen. Demirbilek dagegen bestand auf einen Platz im Freien, schlicht und ergreifend deshalb, weil es Sommer war und er den letzten Fastentag unter freiem Himmel beenden wollte.
Weshalb ihr Gast sich niedergeschlagen fühlte, ahnte Derya nicht. Demirbilek behielt für sich, was nach der Autopanne auf dem Weg zum Flughafen passiert war. Er hatte zuerst den Fahrer gescholten, weil er ein japanisches Fabrikat fuhr und keine in Deutschland produzierte Limousine. Der Vorwurf stieß bei dem zugewanderten Kölner auf wenig Gegenliebe. Nachdem Zeki das Fahrgeld verweigerte, folgte das unausweichliche Handgemenge. Danach stellte er sich auf den Sicherheitsstreifen der Autobahn und versuchte, per Anhalter weiterzukommen. Auch dabei hatte er kein Glück. Die vom Taxifahrer herbeigerufene Verkehrspolizei nahm den Streit und die Delle in der Karosserie des Taxis in das Protokoll auf. Demirbilek bekannte sich schuldig, der Verursacher des Schadens zu sein, gleichzeitig beschuldigte er den Fahrer, ihn provoziert zu haben. Nach all den Schwierigkeiten hatte er Selma am Flughafen verpasst. Auf der Rückfahrt im Streifenwagen sagte er kein Wort. Den Polizisten war die Erleichterung anzumerken, als sie den Kommissar am Präsidium aussteigen lassen konnten.
Zurück im Büro, brachte ihn Leipold auf den neuesten Stand. Zwei Anrufe auf Vesters Handy. Freunde, die sich verabreden wollten. Die Kollegin, die Dietl hinhalten sollte, um den Anruf zu orten, verwies die Freunde auf die Eltern. Verständlicherweise wollte sie nicht die Überbringerin der Todesnachricht sein. Offenbar wusste niemand von Vesters geplanter Überführungsfahrt nach Istanbul. Von Zeil und Dietl fehlte nach wie vor jede Spur. Fluggäste mit internationalen Zielen, vor allem die Maschinen nach Istanbul und Antalya wurden kontrolliert. Es gab brauchbares Fotomaterial von den beiden, sollten sie mit gefälschten Dokumenten reisen.
Demirbilek hatte Leipolds Bericht mehr oder weniger stumm zugehört. Er fühlte sich körperlich ausgemergelt und seelisch vom Schicksal betrogen. Die Autopanne war ein deutlicher Wink gewesen, sich mit Selma mehr Mühe zu geben. Wie früher hatte er seine Arbeit über sein Privatleben gestellt. Er hatte ganz einfach die Schnauze voll.
Die Uhr zeigte Viertel nach acht. Es war höchste Zeit, zu Aydins Konzert aufzubrechen, dort etwas zu sich zu nehmen und nach der Stärkung Selma anzurufen. Doch er hatte keine Ahnung, in welcher Kneipe sein Sohn auftrat. Geschweige denn, wie der Name seiner Band war. Er rief erst Özlem, dann Aydin selbst an. Beide waren nicht zu erreichen. Danach versuchte er es bei Jale. An ihren Apparat ging eine fremde Stimme. Er verzichtete auf eine Erklärung und legte, ohne sich zu erkennen zu geben, auf. Auch der letzte Versuch schlug fehl. Sein Freund Robert konnte ihm nicht weiterhelfen.
Leipold hatte die Telefonate mitverfolgt. Er merkte, wie dringend sein türkischer Kollege Beistand brauchte, und schlug vor, im Nockherberg das letzte Fastenbrechen gemeinsam zu begehen. Demirbilek gefiel die Vorstellung, unter einem Kastanienbaum zu sitzen, umgeben zu sein von Menschen, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten, und die Sonne zu genießen. Zu der Zeit war der Sommerabend noch so gewesen, wie es sich gehörte.
Als Derya mit Regenschirm und Notizblock vor ihm stand, erkannte Demirbilek sein lächerliches Gebaren.
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