Biest: Thriller (German Edition)
Sorge, der wollte uns nicht treffen. Oder er weiß nicht, wo wir sind. In jedem Fall wird er uns nicht mehr gefährlich. Wenn er uns hätte versenken wollen, hätte dieser sitzen müssen. Ich vermute mal, er will sich nur alle Optionen für seinen Bericht offen halten. Vor wem auch immer Sie auf der Flucht sind, er ist ein sehr gefährlicher Mann. Ziehen Sie sich etwas Ordentliches an, und dann möchte ich mit Ihnen reden. Und mit dem Vierten im Bunde, der nach seinem Streifschuss wohl schon wieder auf den Beinen sein dürfte. Ich erwarte Sie in zwanzig Minuten in der Offiziersmesse.«
KAPITEL 51
Heilbronn, Deutschland
05. Februar 2013, 07.12 Uhr (einen Tag später)
Mit dem größten Kloß im Magen, den sie je gespürt hatte, betrat Solveigh am Mittag die Polizeidirektion von Heilbronn. Sie erinnerte sich nur dunkel an die Ereignisse der letzten Stunden. Eddy hatte sie abgeholt bei Dr. Prins. Nach der schlimmsten Nachricht, die sie je bekommen hatte. Und er hatte ihr zugehört, obwohl im Krisenzentrum die Hölle losgebrochen war. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren hatte sie einem Kollegen gegenüber geweint. Dann hatte Eddy sie zum Flughafen gebracht. Hatte sich geduldig immer wieder dieselbe Frage anhören müssen. War es ihr Fehler? Obwohl Frau Dr. Prins gesagt hatte, dass man das nicht wissen könne, es könne auch einfach ein natürlicher Abbruch gewesen sein. Man wisse nicht, warum ein Fötus in einer so frühen Schwangerschaftsphase aufhört zu wachsen. Eine Störung in der Blutgerinnung, das Erbgut. Oder hatten eben doch die Strahlen die Zellteilung gestört? Eddy hatte sie auf einen späteren Flug gebucht und noch zwei Stunden mit ihr in einem Café verbracht. Nein, Solveigh, wir nehmen uns die Zeit dafür. Keine Widerrede. Nur davon, den Fall abzugeben, hatte er sie nicht überzeugen können. Niemals. Es wäre das Schlimmste, was sie sich in dieser Situation antun könnte, das war ihr bewusst. Und so stand sie hier. Verheult, aber in einem Stück. Mit einem toten Fötus im Bauch, was laut Dr. Prins kein Problem darstellte, solange sie innerhalb der nächsten Woche einen Abbruch in einer Klinik vornehmen ließ. Eddy würde ihr dabei helfen, es zu vertuschen, und ihn irgendwie in ihren Zeitplan einbauen. Das hatte er ihr versprochen. Ebenso, niemandem bei der ECSB jemals davon zu erzählen. Und natürlich würde er Wort halten.
Die Polizeidirektion glich einem Bienenstock, Beamte eilten durch das Foyer des grauen 70er-Jahre-Zweckbaus, sie trugen Stapel mit Papier, und ihre Funkgeräte quäkten laut durcheinander. Solveigh stand mittendrin und suchte nach einem Pförtner, den sie schließlich hinter einer gedrungenen Glasscheibe auf der rechten Seite entdeckte. Seufzend bahnte sie sich einen Weg durch den kontinuierlichen Strom an Beamten. »Verzeihung?«, fragte sie. Keine Reaktion. Der grauhaarige Mann mit schütterem Haar, dünnen Armen und einem kugelrunden Bauch, der unter dem beigen Hemd aussah, als wäre er hart wie Stahlbeton, beachtete sie nicht. Stattdessen sortierte er demonstrativ gelassen Kugelschreiber nach ihrer Farbe. »Verzeihung«, sagte sie etwas lauter. Der Mann nahm die Lesebrille ab und bewegte sich zum Fenster. Wie in Zeitlupe drückte er einen grünen Knopf an der Gegensprechanlage. »Ja, bitte?«
»Zu Polizeihauptmeister Tauscheck. Ich bin angemeldet.« Die höfliche Bitte hatte er verwirkt, zumindest in ihrer jetzigen Geistesverfassung.
Er warf einen langen Blick in eine Liste, blätterte dann Seite für Seite nach vorne, bis er beim Buchstaben »T« angekommen war. Solveigh wollte ihn schütteln, stand aber einfach nur regungslos da und wartete. Ob sie sich als arbeitsfähig bezeichnen würde, wusste sie in diesem Moment selbst nicht mehr so genau.
»Treppe hoch, zweiter Stock links. Gang durch bis ganz nach hinten. Vorletztes Zimmer auf der linken Seite.«
Ohne ein Wort des Dankes machte sich Solveigh auf den Weg nach oben. Nachdem sie ein halbes Stockwerk geschafft hatte, umkreisten ihre Gedanken wieder das Kind, das sie nicht bekommen würde. Wie es wohl ausgesehen hätte? Wie es wohl gewesen wäre? Offenbar hatte ihr Körper noch nicht mit ihrer Schwangerschaft abgeschlossen, die Hormone spukten immer noch im Kopf herum. Um sich davon abzulenken, dachte Solveigh an ihre Steuererklärung, Marcel und den Fall. Obwohl es ihr endlos weit weg schien, hoffte sie dennoch inständig, dass es die fünf mit der Halland nach Schweden schafften. Sie hätte es nicht ertragen, einen
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