Biest: Thriller (German Edition)
Wassertaxi ablegte, warf er einen Blick auf seine Mitreisenden, bei denen es sich ausnahmslos um harmlose Touristen handelte. Eine etwa dreißigjährige Frau mit mintfarbenem Top schoss Fotos von ihrer Mutter und war wohl drauf und dran, ihn um einen Schnappschuss zu bitten. Thomas Eisler tat so, als läse er den informationsarmen Prospekt, den ihm die Frau mitsamt seiner Fahrkarte in die Hand gedrückt hatte. Nachdem ihr Schiff den engen Hafenbereich verlassen hatte, hob sich der Bug aus dem Wasser, das mintfarbene Top widmete sich ihren Fotos, und Thomas Eisler starrte in die schäumende Heckwelle. Ihre Fahrt führte sie an der Küste entlang. In den Bergen dahinter häufte sich der Anblick von verlassenen Hotelanlagen, die man leicht für intakt hätte halten können, würde nicht allen Fenstern das Glas fehlen, das zwangsläufig die Sonnenstrahlen reflektiert hätte. Er machte eine mentale Notiz, sich einige der Grundbucheinträge anzuschauen. Verlassene Gebäude dieser Größenordnung, für die sich seit Jahrzehnten niemand mehr interessiert hatte, konnte man in seinem Gewerbe immer brauchen.
Als sie eine halbe Stunde später Cavtat erreichten und Thomas Eisler von dem schwankenden kleinen Kahn auf die Kaimauer des Jachthafens sprang, wobei zu seinem Missfallen seine Knie schmerzten, war es fast Mittag. Zu seiner Linken lagen am Heck vertäute Luxusjachten, an deren Masten große Fahnen traurig im lauen Wind hingen, zu seiner Rechten erstreckten sich die Liegeplätze für die einheimischen Boote, kleine Segeljachten und einige Motorboote. Er warf einen Blick auf seine Uhr: zu früh für seine Verabredung, also beschloss er, die Promenade abzulaufen und einen Kaffee zu trinken. Um exakt zehn Minuten vor eins stand er wieder an demselben Platz, nur dass diesmal kein öffentliches Wassertaxi auf ihn wartete. Mit der rechten Hand die Sonne abschirmend, warf er einen Blick über das Wasser und entdeckte kurz darauf ein kleines weißes Motorboot, das auf ihn zuhielt. Keine zwei Minuten später tuckerte der PS-starke Außenborder im Leerlauf am Pier, und zwei muskulöse, sonnengebräunte Arme halfen ihm beim Einstieg. Eisler bedankte sich artig und ließ sich auf der ledergepolsterten Rückbank nieder, als sein Skipper das Beiboot auf Kurs brachte. Sie hielten Kurs auf das offene Meer, aber ihr Ziel lag viel näher. Anatoli Kharkovs Jacht, oder besser gesagt, die Firmenjacht der Wodkafabrik, war zu groß für den Hafen, und so ankerte sie in der Bucht davor, fernab von neugierigen Blicken der Touristen oder, was noch viel schlimmer wäre, der Boulevardpresse. Eisler wusste, dass vor Kurzem noch das Schiff eines echten Oligarchen hier gelegen hatte, was Anatoli sicher verärgert hätte, denn es war noch einmal um ein Vielfaches größer als sein eigenes. Thomas Eisler grinste innerlich bei dem Gedanken, als der braun gebrannte Steward das Schlauchboot am Heck der 40-Meter-Jacht vertäute, vor allem da er bei seinen intensiven Recherchen über seinen neuen Arbeitgeber herausgefunden hatte, dass die Firma sie oft über eine sehr diskrete Agentur aus Monaco zum Chartern anbot. Oder wohl eher anbieten musste. Er wartete nicht darauf, dass ihm wieder jemand an Bord half, sondern hievte sich eigenhändig auf das Teakholz der Badeplattform und kletterte über die kurze Leiter an Deck. Ein weiterer Steward in weißer Uniform erwartete ihn bereits:
»Herzlich willkommen an Bord der Annabelle, Mr Eisler. Mr Kharkov erwartet Sie bereits, wenn Sie mir folgen möchten?«
Der Engländer stakste vorweg, wahrscheinlich fanden sie die Blasiertheit schick, ein Stück altes Geld auf einem Kahn, finanziert von neuem und dafür umso mehr davon. Oder seine Frau stand auf den Engländer, sie kümmerte sich um das Personal. Dies zu wissen gehörte ebenso zu Thomas Eislers Arbeitsverständnis wie die Tatsache, dass der Mann in dem Café in Dubrovnik darauf wartete, dass er wohlbehalten von der Jacht zurückkehrte. Bei Kharkov konnte man nie wissen. Zum wiederholten Mal fragte sich Eisler, wie es möglich war, dass er trotz bester Kontakte niemals hatte herausfinden können, wer seine wahren Auftraggeber waren. Eindeutig war nur, dass es nicht der Vorstandsvorsitzende der Wodkafabrik sein konnte, dafür reichte sein Einfluss bei Weitem nicht aus. Der Steward blieb vor einer verspiegelten Glastür auf dem Oberdeck stehen. Er musste nicht klopfen, denn sie glitt zur Seite, kaum dass sie sie erreicht hatten. Anatoli betrat die Sonnenterasse,
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