Biest: Thriller (German Edition)
zukommen zu lassen. Informationen, die Menschenleben retteten, auch wenn sein vermeintlicher Verrat damals nicht allen politischen Parteien opportun erschienen war. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, bestand er nicht auf seinem Titel.
»So wie ich die notorische Informationsbesessenheit Ihres Dienstes kenne, brauche ich Ihnen den Rest meines Teams nicht vorzustellen, oder? Wie geht es Gideon?«
Yael lächelte: »Nein, das brauchen Sie tatsächlich nicht. Und ich weiß, dass Sie sich Anfang der Neunziger einmal getroffen haben, er hat es mir erzählt. Er bestellt Ihnen Grüße, sein Olivenhain habe schon schlechtere Jahre gesehen, soll ich Ihnen ausrichten.« Solveigh runzelte die Stirn, sie hatte nicht gewusst, dass sich die beiden Geheimdienstler schon einmal begegnet waren. Nicht, dass es einen wundern sollte, wie alle Branchen war auch diese Welt eine überschaubare mit den immer gleichen Akteuren. Mit einer undurchsichtigen Verbindlichkeit stellte sich Yael selbst den Anwesenden vor: Eddy Rames, Solveighs Partner in der Zentrale und seit einem Jahr Dominiques größter Rollstuhlkumpel, wobei Eddy seit frühester Kindheit darauf angewiesen war und Dominique erst seit seinem Umfall mit Thanatos. Letzterer saß direkt neben Eddy und gab ihr sitzend die Hand. Des Weiteren waren noch ihr Deutschlandexperte sowie ein Nahostspezialist der Universität Oxford anwesend, dazu ein Computeringenieur der Softwarefirma, die den Stuxnet-Wurm umfassend analysiert hatte. Dieser war per Videokonferenz aus München dazugeschaltet, er sah keineswegs aus, wie man sich einen Computerexperten vorstellen würde. Ein freundlicher, gemütlicher Amerikaner Mitte vierzig, mit roter Krawatte und grau meliertem Anzug schaute erwartungsvoll in die Runde. Nachdem sich alle vorgestellt hatten, bat Will Thater den Softwarespezialisten, seine Einführung in die Funktionsweise von Stuxnet fortzusetzen.
»Im Januar 2010 machten die Mitglieder einer Abordnung der Internationalen Atomenergiebehörde bei einer Routineinspektion der Urananreicherungsanlage in Natanz im Iran eine erstaunliche Entdeckung: Binnen weniger Stunden hatten Techniker dort Zentrifugen in einer derart großen Anzahl ersetzt, dass keiner der Anwesenden an die offizielle Version regulärer Wartungsarbeiten glauben konnte. Der Iran wollte keinerlei Erklärung zum Austausch der Zentrifugen abgeben und war dazu auch nicht verpflichtet, das Mandat der Kontrolleure beschränkte sich auf den Verbleib und die Verwendung des radioaktiven Materials. Dennoch blieb die große Frage für die Inspekteure: Warum? Warum tauschte der Iran an die tausend Zentrifugen binnen weniger Tage, die normalerweise kaum binnen eines Jahres ersetzt worden wären?« Er machte eine dramaturgisch sinnvolle Kunstpause, um seine Zuhörer zu animieren, die Frage selbst zu beantworten. Natürlich reagierte niemand. Alle starrten auf den Monitor mit dem Mann aus München. »Nun«, fuhr er endlich ohne jede Eile fort. »Den Grund sollte die Welt erst ein halbes Jahr später erfahren, als einem jungen Sicherheitsexperten aus Weißrussland ein Problem mit dem Computer eines Kunden im Nahen Osten gemeldet wurde. Er suchte Tage nach der möglichen Ursache und fand schließlich etwas ganz und gar Ungewöhnliches: einen Zero-Day-Exploit.«
Dominique schaute fragend in die Runde, und auch Will Thater schien keine Ahnung zu haben, worum es ging, geschweige denn Solveigh, die immerzu Yael beobachtete, für die all diese Informationen keine Neuigkeit zu sein schienen. Nur Eddy schien die Tragweite dieses Was-auch-immer zu erkennen, er hatte aufgehört zu tippen, ein untrügliches Zeichen, dass ihn etwas überrascht hatte. Glücklicherweise hatte auch der Computerexperte aus München die fragenden Blicke bemerkt und holte ein wenig weiter aus: »Als Zero-Day-Exploit bezeichnet man eine Sicherheitslücke, die zum ersten Mal überhaupt benutzt wird. Wenn Sie so wollen, in etwa wie die Mondlandung. Damit Sie begreifen, wie absolut außergewöhnlich das ist, ein kleiner Vergleich: Jedes Jahr werden Millionen Fälle neuer Schadsoftware entdeckt, aber nur eine einstellige Zahl davon benutzt einen Zero-Day-Exploit, also eine vollkommen neue, bislang unentdeckte Sicherheitslücke. Auf dem Schwarzmarkt kostet eine solche Schwachstelle in Windows mehrere Hunderttausend Euro, folglich war unser weißrussischer Freund alarmiert. Gemeinsam mit vielen weiteren Experten gelang es uns schließlich in monatelanger Arbeit, Stuxnet zu
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