Biest: Thriller (German Edition)
verstehen. Und was wir fanden, war wohl das bestprogrammierte Stück Schadsoftware, das die Welt je gesehen hat.«
»Sie waren dabei?«, platzte Solveigh heraus.
Der gemütliche Mann mit dem amerikanischen Akzent nickte von der großen Leinwand auf sie herab: »Ja, gemeinsam mit vielen meiner Kollegen. Sie müssen verstehen, dass Stuxnet nicht nur einfach ein kleines cleveres Stück Software ist, es ist ein Kunstwerk. Der Zero-Day-Exploit war eine Sicherheitslücke im Betriebssystem, die es ihm erlaubte, sich weiterzuverbreiten, und zwar gänzlich ohne dass dafür ein Programm ausgeführt werden muss. Sie stöpseln ihn an einen beliebigen Rechner in einem Netzwerk, und Stuxnet fräst sich seinen Weg auf jedes einzelne System. Dabei geht es so vorsichtig vor, dass die Administratoren kaum eine Chance haben, es zu bemerken. Lange Zeit war uns vollkommen unklar, zu welchem Zweck das Programm geschrieben worden war. Es lag einfach nur da, mitten im Betriebssystem, und schaute ab und zu nach, ob ihm jemand über das Internet neue Instruktionen gab. Oder zumindest schien es so.«
»Sie meinen, es ist eine Art Schläfer?«, fragte William Thater neugierig, plötzlich wieder auf vertrautem Terrain.
»So ähnlich«, referierte der Amerikaner. »Als wir allerdings die Verbindung zu den defekten Zentrifugen aus Natanz herstellten, erkannten wir, dass das Virus nur geschlafen hatte, weil es nicht vorgefunden hatte, was es suchte: Industrieanlagen. Stuxnet wurde speziell dafür erfunden, das iranische Atomprogramm zu sabotieren, weswegen es sehr wahrscheinlich von den Amerikanern oder von den Israelis geschrieben wurde. Es ist jedenfalls viel zu komplex, um das Werk eines Einzelnen zu sein, Sie brauchen eine große Organisation und einige Tonnen an Dollar, um so etwas zu entwickeln.«
Solveigh warf ob des politischen Fauxpas einen einen Seitenblick zu Yael, die aber beschwichtigend die Hand hob. Offenbar galten heute Abend andere Regeln, und sie standen ja auch nicht gerade im diplomatischen Dienst ihrer jeweiligen Länder.
»Ich danke Ihnen sehr für Ihre Einschätzung, Mr Chambers. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir Sie in den nächsten Wochen noch einige Male bitten werden, an unseren Besprechungen teilzunehmen, möglicherweise brauchen wir Sie sogar hier in Amsterdam.«
Das Beamerbild wackelte, als er auf seinem Stuhl hin und her rutschte. »Das wird leider nicht möglich sein, Mr Thater«, entgegnete der Mann aus Deutschland, »ich fliege morgen auf eine mehrtägige Konferenz nach Boston und dann zu einem Projekt nach Singapur.«
Solveigh wusste, dass Will das nicht gefallen würde. Er führte die ECSB nach Gutsherrenart. Im Positiven wie im Negativen, was heißen sollte, dass er sich bedingungslos für seine Leute einsetzte, aber ebenso bedingungslose Loyalität erwartete. Und Verzögerungen kamen für ihn nicht infrage. In keinem Fall und von niemandem. Und sie hatte sich mit ihrer Einschätzung nicht getäuscht.
»Glauben Sie mir, Mr Chambers, Sie fliegen nirgendwohin. Die entsprechenden Instruktionen Ihres Arbeitgebers finden Sie morgen früh in Ihrem Posteingang. Nochmals vielen Dank und auf ein baldiges Wiedersehen.«
Mit einem Nicken in Richtung Eddy beendete er das Gespräch, und die Verbindung wurde unterbrochen. Solveigh wusste, dass ihr Kollege, noch während Thater den Zivilisten ›eingeladen‹ hatte, eine E-Mail an den persönlichen Referenten des deutschen Wirtschaftsministers oder sonst jemand Wichtigen geschickt haben würde, der seinen Arbeitgeber davon überzeugte, dass er zur Verfügung stand, wenn sie ihn brauchten. Die ECSB arbeitete als sehr kleine Einheit mit vielen politischen und persönlichen Hebeln, sonst wäre die Geschwindigkeit, in der von ihnen Ergebnisse erwartet wurden, gar nicht zu erzielen. Thater schaute in die Runde, als suchte er nach den Antworten, die ihm aber keiner liefern konnte. Solveigh machte einen zaghaften Versuch, ihm klarzumachen, dass sie heute Abend wohl kaum mehr etwas ausrichten konnten: »Will, lass uns ins Bett gehen und morgen mit einem frischen Kopf noch einmal darüber reden.«
Aber Will Thater trommelte mit einem Bleistift auf die Tischkante, für Solveigh ein untrügliches Zeichen dafür, dass er eine Entscheidung getroffen hatte: »Nein, wir werden morgen früh kein Jota mehr an Informationen zur Verfügung haben.Ihr wisst, dass ich kein Freund davon bin, Entscheidungen zu vertagen, und deshalb machen wir Folgendes: Für eine offizielle Anfrage
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