Biest: Thriller (German Edition)
vermerkte Marcel. Hat es sich doch gelohnt, hier in der Kälte zu sitzen. Klick. Eine Frau stieg aus, sie war mit einer blauen Jacke ohne Kapuze bekleidet, ihr dunkles Haar hatte sie unter dem Kragen verborgen. Klick. Marcel erinnerte sich daran, wie diese Locken seine Nase gekitzelt hatten. Klick. Sie blickte in seine Richtung. Hatte sie ihn bemerkt? Ihr Gesicht war jetzt deutlich zu erkennen unter den Neonröhren über dem Bürgersteig. Klick. Guten Abend, Yael Yoffe, murmelte Marcel. Das könnte interessant werden. Sie blickte immer noch zu der Bushaltestelle, in deren dunkelster Ecke Marcel auf dem Stahlrohrgeflecht saß. Aber nein, sein schwarzer Mantel dürfte maximal schemenhaft auszumachen sein von dieser Entfernung, und das Objektiv konnte aus diesem Winkel nichts reflektieren. Klick. Hat sie die Augen zusammengekniffen? Da wendete sie sich schon ab und rannte durch den Regen Richtung Eingang. Klick. Er würde diese Story bekommen, und er würde sich nicht abschütteln lassen. Marcel spürte instinktiv, dass hier etwas Größeres im Gange war. Größer, als ihm vielleicht hätte lieb sein sollen für seine erste eigene Reportage.
KAPITEL 14
Amsterdam, Niederlande
16. September 2012, 21.21 Uhr
Solveigh Lang holte die spätabendliche Besucherin am Empfang einer Firma namens Loude IT Services ab, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Der vierte Stock des Gebäudes diente der ECSB als Tarnung, lediglich ein paar Büros beherbergten ausgelagerte Buchhaltungsmitarbeiter, die hier tagsüber die Fassade aufrechterhielten. Als sie die junge Israelin begrüßte, bekam sie, ohne es zu wollen, ein flaues Gefühl im Magen. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, eskortierte sie die Mossad-Agentin über die ausgetretenen Teppichböden bis zur Sicherheitsschleuse in einen der Konferenzräume. Routiniert ließ Yael das grünliche Licht des Iris-Scanners eine Identifikation vornehmen und gab eine Zahlenkombination ein, die sie von einem Verbindungsoffizier in der israelischen Botschaft erhalten hatte. Sie war die erste Besucherin, die die Sicherheitsmaßnahmen der ECSB nicht zu verwundern schienen, im Gegenteil, sie nahm sie mit einer natürlichen Gelassenheit zur Kenntnis. Als sich die Aufzugtüren schlossen und sie die seltsam dumpfe Stille des Schallschutzes umfing, kam Solveigh nicht umhin zu bemerken, dass Agentin Yoffe sehr gut roch, nach Patchuli und Minze. Zu ihrem flauen Gefühl im Magen gesellte sich ein kleiner Stich ins Herz. Weil sie Marcel verstehen konnte. Sie war eine attraktive Frau, diese Agentin. Vielleicht ein wenig zu attraktiv für ihren Geschmack, aber darum würde sie sich später kümmern müssen. Als sich die Aufzugtüren ein Stockwerk tiefer öffneten und sie das komplett isolierte und gegen elektronische Angriffe geschützte Hauptquartier der ECSB betraten, drängte sich glücklicherweise die Arbeit von alleine in den Vordergrund, und Solveigh begann wieder zu funktionieren. Wie immer. Beinah ärgerte sie sich ein wenig darüber. Ob so die ersten Anzeichen eines Burn-outs aussahen? Sie führte ihre Besucherin in den großen Konferenzraum, in dessen Mitte ein großer elliptischer Tisch stand. Wie alle Einrichtungsgegenstände bei der ECSB war er weiß und trug zu der beinahe klinischen Atmosphäre der Räume bei. Ohne die vielen Monitore und Mitarbeiter, deren Mischung man durchaus als bunt bezeichnen dürfte, hätte es sich auch um die Hightechintensivstation eines Krankenhauses für betuchte Privatpatienten handeln können. Yael Yoffe hängte ihre nasse Jacke an einen Haken und blieb dann mit verschränkten Armen an der Glastür stehen. Bevor Solveigh die Vorstellungsrunde übernehmen konnte, betrat William Thater den Raum durch die gegenüberliegende Tür, und wie immer, wenn der ›Grandseigneur der Geheimdienste‹ anwesend war, nahm seine Präsenz den Raum in Gänze ein, ungeachtet seiner geringen körperlichen Größe.
»Yael Yoffe vom israelischen Mossad, nehme ich an«, begrüßte er die Agentin. Solveigh entging nicht, dass er sie dabei musterte. Wahrscheinlich kam sie ihm zu jung und zu hübsch vor, vermutete sie.
»Guten Abend, Sir William. Es ist mir eine außerordentliche Ehre, Sie kennenzulernen.«
»Lassen Sie bitte den Sir weg, ja?«, bat Sir William Thater, der den offiziellen Titel eines Knight of the British Empire trug, seit er in den Siebzigerjahren eine Zelle der IRA infiltriert hatte, nur um ihr einige Jahre später entscheidende Informationen über britische Operationen
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