Biest: Thriller (German Edition)
Schwere Maschinengewehre statt kleinkalibriger Pistolen. Panzer auf den Straßen von Stuttgart und München. Die Deutschen kannten solche Bilder bisher nur aus dem Fernsehen. Aus Ländern, die unendlich weit weg schienen. Aus Krisengebieten. Und alles ausgelöst von ihrem zukünftigen Staatsfeind Nummer eins: Thomas Eisler.
»Nach derzeitiger Kenntnis geht keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung aus, die Messwerte am Reaktor liegen im tolerablen Bereich.«
Klar. Die am Reaktor schon. Aber was ist mit der Wolke? Derzeitige Kenntnis klang für Eisler schon jetzt nach Dementi um zehn. Perfekt. Und was hieß schon tolerabel? Binnen einer Stunde würden die Experten im Fernsehen und im Internet seine Ansprache zerpflücken, aber das Gegenteil würden sie ihm auch nicht beweisen können. Für Eisler, dessen Plan größtmögliches Chaos vorsah, kam es vor allem darauf an, dass es dem Ministerpräsidenten jetzt nicht gelang, die Bevölkerung zu beruhigen. Gib dir alle Mühe, grüner Mann. Es wird dir nichts nützen.
»Wir bitten die Bevölkerung dennoch, in ihren Häusern zu bleiben und die Fenster geschlossen zu halten. Es ist in dieser Situation vor allem wichtig, dass keine grundlose Panik entsteht. Ich wiederhole noch einmal: Es geht derzeit keine Gefahr für die Bevölkerung aus, die Lage ist unter Kontrolle.«
… Sagen sie immer dann, wenn sie im Begriff sind, die Kontrolle zu verlieren. Zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte Thomas Eisler.
»Im Raum Stuttgart wird es in den nächsten Stunden allerdings zu massiven Verkehrsbehinderungen durch die Rettungskräfte kommen. Wir haben uns deshalb entschlossen, die Hauptverkehrsadern der Landeshauptstadt Stuttgart sowie der Städte Ludwigsburg und Heilbronn für den Personenverkehr zu sperren. Diese Maßnahme dient der Sicherheit der Bevölkerung, und ich rufe alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich bis auf Weiteres daran zu halten. Ich danke Ihnen allen, dass Sie Verständnis für diese Maßnahmen aufbringen. Wir hoffen, dass die Lage sich innerhalb der nächsten Stunden entspannt und wir gemeinsam zur Tagesordnung übergehen können.«
Sein Abtritt ging in einem Blitzlichtgewitter und einem durcheinandergeschrienen Fragenkonzert unter. Der Sender schaltete zurück ins Studio, um eine erste Analyse von einem eilends herangekarrten Experten einzuholen. Im Hintergrund war eine Karte von Süddeutschland eingeblendet, die den wahrscheinlichen Verlauf der radioaktiven Wolke zeigte. Sie steuerte auf München zu. Thomas Eisler freute sich schon auf den Rest des Vormittags, als er in die Küche ging, um sich eine weitere Kanne Kaffee aufzubrühen.
KAPITEL 45
Außerhalb von Murmansk, Russland
03. Februar 2013, 13.40 Uhr (am selben Tag)
Nachdem sie einige Stunden im Schutz eilig über den Lieferwagen gezerrter Zweige ausgeruht hatten, erreichten sie die Ausläufer der Küstenstadt Murmansk am frühen Nachmittag des nächsten Tages. Sie umfuhren das Zentrum weiträumig und hielten sich Richtung Nordosten. Bereits kurz nach dem Verlassen der Autobahn wurde die Straße zunächst einspurig und nach wenigen Kilometern zu einem besseren Feldweg. Die Landschaft war hügelig und mit Wasserläufen und Seen durchzogen. Der Lieferwagen rumpelte über den unebenen Schnee, aber während Marcel sich mit beiden Händen an seinen Sitz klammerte, blieb Aron am Steuer scheinbar unbeeindruckt. Schließlich hielten sie vor einem heruntergekommenen Betongebäude, über dessen große Flügeltüren ehemals bunte Surfbretter genagelt worden waren. Vielleicht hatte sich das mit dem Zodiac mittlerweile erledigt, und sie sollten einfach nach Finnland surfen?, dachte Marcel. Er erinnerte sich an zwei junge Männer aus der DDR, denen auf ebenjene Weise die Republikflucht gelungen war. Der eiskalte Wind in der Bucht verscheuchte seine Phantasie dorthin, wo sie hingehörte. Marcel streckte sich nach der langen Zeit auf dem unbequemen Sitz und atmete ein. Der typische salzige Geruch von Meer lag in der feuchten Luft. Aron ließ den Motor des Ducato laufen und klopfte mit der Faust gegen das Tor. Als sich die breiten Schiebetüren mit einem lauten Kreischen von Metall auf Metall öffneten, bedeutete er den anderen, ihm zu Fuß zu folgen. Nachdem er wortlos einen bärtigen jungen Mann umarmt hatte, der ihnen nicht vorgestellt wurde, breitete er eine Seekarte unter einer tief hängenden Lampe aus, der dazugehörige Tisch stand exakt in der Mitte der Baracke, die Marcel eher an eine Lagerhalle
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