Biest: Thriller (German Edition)
Interessensgruppen übrig: Fanatiker oder russische Nationalisten mit knallharten Wirtschaftsinteressen. Für religiöse Überzeugungstäter wie al-Qaida ist die Nummer mit Stuxnet allerdings doch ein paar Schuhe zu groß – und wenn wir den Besuch unseres ehemaligen Stasi-Offiziers in Israel hinzurechnen, brauchen wir nicht viel mehr, um zwei und zwei zusammenzuzählen. Wir glauben, dass wir es mit dem weltweit ersten Fall von Wirtschaftsterrorismus zu tun haben. Allein die Wirtschaftsspionage ist ein boomender Faktor auf der weltpolitischen Karte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich eine Gruppierung findet, die auch vor Terror nicht zurückschreckt, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.«
»Sie vermuten Russland hinter dem Anschlag?«, fragte Gideon.
»Nicht den Staat, und keineswegs offiziell. Wir glauben, dass eine Gruppe sehr einflussreicher Ultranationalisten dahintersteckt, mit weitreichenden politischen Verbindungen und dem nötigen Kapital, um die Stuxnet-Variante zu produzieren. Dafür spricht auch, dass der Russe aussagt, er habe das Virus umprogrammiert.«
»Das klingt plausibel«, kommentierte Feinblat und rückte seine Kippa zurecht. »Aber Sie haben die Hintermänner bisher nicht identifizieren können, oder?«
Dominique rutschte in seinem Rollstuhl hin und her. Es entsprach zum größten Teil seine Analyse, die Feinblat plausibel fand. Nicht schlecht für einen hühnerbrüstigen Krüppel von gerade einmal 1,68 Meter, der keine 30 Jahre alt war.
»Nein«, antwortete Thater. »Unglücklicherweise nicht. Wir hoffen, über die exfiltrierten Russen mehr darüber zu erfahren. Umso wichtiger ist es, dass es Ihrem Agenten gelingt, das Treffen mit der Halland einzuhalten. Glauben Sie, dass er es hinbekommt?«
Die Augen des alten Israelis blickten stumm geradeaus, als erinnerte er sich an ein Ereignis in der Vergangenheit. »Wenn es einer hinbekommt«, sagte er schließlich, »dann er. Ich vertraue ihm, und ich rate Ihnen, das Gleiche zu tun.« Daraufhin wurde der Bildschirm schwarz. Der Israeli hatte einfach aufgelegt. Dominique beendete die Verbindung, um einen Blick auf die aktuelle Lage in Deutschland zu werfen. Die Bildschirme zeigten, dass die Wolke vom Wind weiterhin Richtung Südosten getrieben wurde. Die Messstationen, die nach der Tschernobyl-Katastrophe überall in Deutschland installiert worden waren, zeigten am Boden bisher zwar erhöhte, aber keine unmittelbar bedrohlichen Werte, sie lagen weit unter dem, was der saure Regen in den Tagen nach Tschernobyl auf bayerische Waldböden und Äcker gespült hatte. Aber auf dem Weg der Wolke lag der Großraum München mit über drei Millionen Einwohnern. Wenn sie ausgerechnet dort abregnete, würde es Hunderttausende Geschädigte geben. Und statt ein paar tausend Quadratkilometern gesperrte Landwirtschaft und Waldgebiete wären möglicherweise ganze Stadtteile auf Jahrzehnte unbewohnbar. Von der Panik ganz zu schweigen. Dominique wusste aufgrund der Verbindung zu den deutschen Ministerien, dass das bayerische Innenministerium lastwagenweise Mundschutz und Schutzkleidung angefordert hatte. Die Verteilung an die wichtigsten Behörden war bereits angelaufen, und insgeheim wurden in den sonst für Wahlen benutzten öffentlichen Räumlichkeiten wie Schulen und Ämtern Versorgungspunkte für die Bevölkerung gebildet – auch wenn dies offiziell niemand verlautbaren ließ. Alles hing von den nächsten Stunden ab. Und niemand, nicht einmal ihre eigene Expertenkommission der ECSB, die aus den besten Wissenschaftlern der EU bestand, konnte einschätzen, wie gefährlich das radioaktive Material in der Atmosphäre wirklich war. Denn so erstaunlich das klang, erforschen konnte man seine Wirkung auf den menschlichen Organismus bisher kaum. Die einzigen Daten über die Langzeitgefährdung der Bevölkerung stammten aus der Ukraine und Japan. Von den Unglücken in Tschernobyl und Hiroshima, die langfristigen Folgen von Fukushima konnte überhaupt noch niemand abschätzen. Und Dominique hatte das Gefühl, dass sich die Täter genau diese Tatsache zunutze machen wollten. Er brauchte diese Festplatte, sie war ihre einzige Chance, den Rest von Europa vor dem tödlichen Virus zu beschützen.
Hunderte Kilometer südlich stand Solveigh zur gleichen Zeit seit Stunden im größten Stau, den das Autobahnkreuz Leonberg jemals gesehen hatte. Das Navigationsgerät war in dieser Situation nur noch von eingeschränktem Nutzen, weswegen sie Eddy in der Leitung hatte,
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