Big U
kläglichen Lichter der Discos und Imbißbuden erwachten zum Leben. Gerade dann, wenn das Zeichen nur noch schwer zu erkennen war, wurde der Schalter gedrückt und das Big Wheel loderte im Osten auf wie das Angesicht Gottes und bewirkte, daß Tausende wissbegieriger Köpfe unvermittelt herumfuhren und Tausende Unterhaltungen einen Moment ins Stocken gerieten. Die Leute im Plex hatten kaum Gelegenheit, zu tanken, und viele wußten nicht einmal, wofür das Zeichen eigentlich Werbung machte, dennoch war es zum Emblem einer Universität ohne Embleme geworden und wurde generell bewundert. Kunststudenten schufen Bilderserien mit Titeln wie, zum Beispiel, »Achtunddreißig Ansichten des Big-Wheel-Zeichens«, die Terroristen übernahmen es als ihr Symbol, sein Leuchten diente als Ausgangspunkt für viele Partys. Selbst in den schlimmsten Jahren der Energiekrise hatte praktisch niemand an der AM Einwände dagegen erhoben, daß allnächtlich Tausende rot-weißblauer Kilowattstunden ins All geblasen wurden, während dreißig Meter tiefer, Pennern wegen der Kälte Gliedmaßen abfroren.
Die Gipfelkonferenz, das Treffen der Hörer, das Konklave der Terroristen-Superstars, wurde aus diesem Grund gegen Sonnenuntergang im Gemeinschaftsraum von D24O abgehalten. Rund ein Dutzend Gestalten der verschiedenen Terroristenfraktionen kamen, eingeschlossen acht Stereohörer, zwei Big-Wheel-Hörer, ein Waschmaschinenhörer und ein Fernsehtestbildhörer.
Hudson Rayburn, Tinys Nachfolger kam als letzter und hatte keinen Stuhl. Also ging er ins erstbeste Zimmer und trat ein, ohne anzuklopfen. Der Bewohner saß mit gekreuzten Beinen auf dem Bett, rauchte Marihuana in einer fluoreszierenden roten Wasserpfeife aus Plastik und starrte auf ein Testbild eines 21-Zoll-Fernsehers, das aus bunten Streifen bestand. Dies war der Flügel der Fernsehtestbildhörer, eine Variation, die Rayburns Gruppe fragwürdig fand. Aber man konnte
durchaus auch einiges Positive über Testbilder sagen.
»Das gesamte Spektrum«, bemerkte Hudson Rayburn.
»Heil Roy G Biv«, antwortete der Hörer mit dem rituellen Gruß seiner Etage. Rayburn schnappte sich einen Stuhl, wodurch der Toaster, der daraufstand, auf das Bett rutschte. »Ich brauche diesen Stuhl«, sagte er.
Der Hörer legte den Kopf und blieb einige Augenblicke reglos, dann fuhr er mit einer gutmütigen, monotonen Stimme fort. »Roy G Biv spricht mit der Stimme von Ward Cleaver, einer Stimme mit großer Macht. Ja. Du darfst den Stuhl nehmen. Aber du mußt ihn zurückbringen, weil ich sonst keinen Platz habe, um meinen Toaster draufzustellen.«
»Ich bringe ihn zurück«, antwortete Rayburn und trug ihn hinaus.
Die Gastgeber des Treffens hatten an einer Wand des Aufenthaltsraums einen großen Rückprojektionsfernseher aufgestellt, wo die Abgeordneten der Roy-G-Biv-Fraktion das Testbild betrachteten. Einer von ihnen, der Conferencier des heutigen Abends, sprach zu den versammelten Terroristen, sah zu dem Bildschirm und machte von Zeit zu Zeit eine Pause.
»Das Problem mit den Stereohörern ist, daß jeder eine Stereoanlage besitzt und sehr viele Stimmen ganz unterschiedliche Sachen sagen, was schlimm ist, da sie nicht gemeinsam handeln können. Nur wenige haben Farbfernseher, die Roy G Biv zeigen können, und nur wenige Kabel, wo Roy G Biv rund um die Uhr auf Kanal 34 gezeigt wird, daher sind wir vereinigt.«
»Aber es gibt nur ein Big Wheel. Das ist das vereinigtste von allen«, bemerkte Hudson Rayburn und sah zum Big Wheel, das orangefarben in der untergehenden Sonne funkelte.
Eine Minute oder so herrschte Schweigen. Ein Stereohörer, der einen großen Gettoblaster auf dem Schoß hielt, meldete sich zu Wort. »Ah, aber man kann es von vielen Fenstern aus sehen. Also ist es auch nicht besser.«
»Dasselbe gilt für Stereo«, sagte ein Waschmaschinenhörer. »Aber es gibt nur einen Trockner, den Seritech Super Big Window 1500 in der Wäscherei, der die Nummer dreiundzwanzig trägt und in dem sich das Videospiel Astro-Nuke spiegelt, den können nur wenige gleichzeitig sehen, und ich glaube, er hat dir gestern gesagt, wie wir ihn stehlen können.«
»Na und?« sagte Hudson Rayburn. »Der Trockner ist nur ein kleiner Vetter des Big Wheel. Das Big Wheel ist der Vater aller Sprecher. Vor zwei Jahren, bevor es überhaupt Hörer gab, saßen Fred und ich – Fred war der Gründer der Wild and Crazy Guys und ist heute Anlageberater – während eines Stromausfalls in unserem Gemeinschaftsraum und rauchten eine
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