Big U
Welchen Sinn hätte es, so einen an der Uni zu behalten? Wie auch immer, Bennett machte seine Sache im Zentrum ausgezeichnet, war aber dennoch ein Junge mit großen Problemen, und keiner kam mit ihm aus. Schließlich haben sie ihn gefeuert.
Wenn sie einen hochrangigen Angestellten des Rechenzentrums feuern, müssen sie vorsichtig sein. Wenn sie ihm zwei Wochen Vorwarnzeit geben, könnte er aus reiner Boshaftigkeit in diesen zwei Wochen das Chaos in den Computern anrichten. Wenn sie diese Leute feuern, dann immer über Nacht. Die kommen dann zur Arbeit, und alle Schlösser sind ausgewechselt worden; sie müssen ihre Schreibtische unter Aufsicht ihrer Vorgesetzten räumen. So haben sie es mit Paul Bennett gemacht, weil sie wußten, daß er verkorkst genug war, das System aus Rache zu zerlegen.«
»Soviel also zur glänzenden Laufbahn, was?«
»Nein, er wurde sofort von einer Firma in Massachusetts eingestellt, und zwar zum vierfachen Gehalt. Und das RZ war froh, weil er gute Arbeit geleistet hatte und sie glaubten, nun wären sie vor Vergeltungsmaßnahmen sicher. Etwa eine Woche später tauchte der Wurm
auf.«
»Und das war –?«
»Paul Bennetts Sabotageprogramm. Weißt du, er hat es in den Computer eingeschmuggelt, bevor er entlassen wurde, und aktiviert, und jeden Morgen, wenn er zur Arbeit kam, gab er einen geheimen Befehl ein, der es wieder vierundzwanzig Stunden deaktivierte. Sobald er den Befehl nicht mehr gab, kam der Wurm aus seinem Versteck und richtete ein heilloses Ducheinander an.«
»Aber was hat ihm das genützt? Es änderte nichts an der Tatsache, daß er gefeuert worden war.«
»Wer weiß das schon? Ich glaube, er hat ihn eingeschmuggelt, um das Personal des RZ zu erpressen, damit er seinen Job behalten kann. Das muß sein ursprünglicher Plan gewesen sein. Aber wenn man ein wirklich schönes, brillantes Programm erschafft, ist die Verlockung, es auch im Einsatz zu sehen, einfach zu groß. Er muß sich so sehr danach gesehnt haben, den Wurm in Aktion zu sehen. Und als er gefeuert wurde, da beschloss er, sie hätten es einfach nicht anders verdient. Ich lasse den Wurm los. Das war Mitte letzten Jahres. Zuerst richtete er nur geringen Schaden an, löschte zum Beispiel Programme von Studenten, fuhr das System zu unmöglichen Zeiten herunter, und so weiter. Dann fraß er sich immer tiefer in das Betriebssystem hinein – das Meisterprogramm, das das gesamte System steuert – und betrieb Vandalismus im größeren Maßstab. Das Personal des Rechenzentrums bekämpfte ihn eine Weile, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Das Betriebssystem ist ein riesiges Programm und man mußte es in-und auswendig kennen, um zu begreifen, was der Wurm damit anstellte.«
»Aha«, sagte ich, da ich allmählich verstand, »sie brauchten jemanden mit einem fotografischen Gedächtnis. Sie brauchten ein weiteres Wunderkind, nicht? Und so haben sie dich bekommen. Ist es nicht so?«
Daraufhin zuckte Virgil die Achseln. »Es ist richtig, daß ich die Person war, die sie brauchten«, sagte er leise. »Aber geh nicht davon aus, daß sie mich ›bekommen‹ haben.«
»Echt? Du bist Freiberufler?«
»Ich helfe ihnen, und sie helfen mir. Es ist ein Austausch von Dienstleistungen. Über die Einzelheiten mußt du nichts wissen.«
Ich war bereit, diese Einschränkung zu akzeptieren. Virgil hatte mir soviel erzählt, daß ich begriff, was er machte. Dennoch war und blieb es eine höchst abstrakte Arbeit, die überwiegend darin bestand, lange Zahlenkolonnen vom Monitor abzulesen und neue einzutippen. In der Nacht, als ich dabei saß, hatte der Wurm gerade die Personalunterlagen aller Studenten aus Bundesstaaten, die mit einem »M« anfingen, gefressen. (»M«, sagte Virgil, »der schlimmste Buchstabe, den er sich aussuchen konnte.«) Virgil suchte in diversen Dateien, ob die Informationen anderswo abgelegt worden waren. Etwa die Hälfte von Montana fand er zwischen den Zeilen eines illegalen Computerspielprogramms, sicherte die Daten, löschte das illegale Programm und ließ die geretteten Informationen auf einer Rolle Gehaltsschecks in einer Maschine im Verwaltungskomplex ausdrucken.
In dieser Nacht, der ersten des neuen Semesters, war Virgil nicht damit beschäftigt, edel und selbstlos Daten vor dem gefräßigen Wurm zu retten. Tatsächlich regelte er seine Wohnsituation für das kommende Jahr. Ihm standen etwa fünf Zimmer im Plex zur Verfügung, die er mit imaginären Studenten besetzte, um sie freizuhalten – mit dem
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