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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Acid genommen. Sarah gar keines. Nun war er ein verschrobener, zerrütteter Radikaler, der sich trotzdem an sie erinnerte, sie hingegen mied ihn gewissenhaft.
    Auf halbem Weg den Mittelgang hinunter fand sie einen Monitor, der ein Bild von Dex zeigte. Sie ließ sich tief in einen Sitz sinken und beobachtete ihn und seine Spießgesellen. Dex las niedergeschlagen einen Aufsatz, und sie wußte, daß es ihrer war. Er blätterte ihn rastlos durch, als suchte er nach einem bestimmten Wort oder einem Ausdruck, dann schüttelte er hilflos den Kopf und legte ihn auf den Stapel zurück. Schließlich förderte der letzte von ihnen seinen Aufsatz zu Tage, und sie entfernten sich kollektiv; zurück blieben mehrere Dutzend Aufsätze, die nicht abgeholt worden waren.
    Archibald Embers, außerordentlicher Professor und Lernberater der Gruppe G Englisch für Anfänger, betrachtete eine junge Frau auf seinem Sofa und bemühte sich gleichzeitig, seine Pfeife nicht ausgehen zu lassen.
    Das erforderte eine Menge Arbeit mit dem verkehrt herum gehaltenen Butangasfeuerzeug, so daß er schon überzeugt war, die Verbrennung an seinem Daumen müßte eine zweiten Grades sein. Diese junge Frau indessen war definitiv auf Streit aus, daher war dies nicht der Augenblick, Schwäche zu zeigen. Er hielt die Pfeife vorsichtig fest und strich mit der anderen Hand wie beiläufig über den Rand einer Topfpflanze, damit er die gegrillte Stelle des Daumens tief in den kühlen, feuchten Humus bohren konnte. Ich bin Antaeus, dachte er, und gleichzeitig bin ich Prometheus, von meiner eigenen Flamme verbrannt. Sie saßen in der Gesprächsnische, die er eingerichtet hatte, um zu vermeiden, daß er wie ein Autoritärer über einen Schreibtisch hinweg mit seinen Studenten reden mußte. Oder hieß es ein Totalitärer? Den Unterschied konnte er sich nie merken.
    Diese Frau stand eindeutig unter Starkstrom, Typ A, Alpha niedrig und linke Hirnhälfte, mit höchst unheimlichen Resonanzen. Es würde eine schmerzliche Erfahrung werden, sie bis ans Ende ihrer Krise zu begleiten. Sie hatte eine Menge Papiere im Auditorium abgerissen und mit hierher gebracht, um jede Menge Haarspalterei zu betreiben. Sie hatte ein Problem mit ihrer Note, einer 2.
    »Also«, fuhr sie fort und strich über eine weitere Seite, »sehen wir uns einmal Seite zwei dieser Arbeit an, in der es um eine Anzeige von Eichelessenz de Cologne geht. ›Das Wesentliche daran geht um diese Füchse. Er hat einen Haufen. Um sich. Er ein Geheimagent, wie Bond James Bond oder so was. Oder eine andere Person mit jeder Menge Füchsen. Warum er Füchse hat? Ist Eichelessenz de Cologne. Sie hoffen man kommt dahinter und kauft was davon. Denn sie verkaufen es ja.‹ Und daneben haben Sie an den Rand geschrieben: ›Exzellente Analyse, wie die Anzeige funktioniert‹. Und am Ende haben Sie geschrieben: ›Ich habe Ihnen eine 1 für diesen Aufsatz gegeben, weil Sie genau erkannt haben, wie das System uns einer Gehirnwäsche unterzieht.‹ Also wirklich, wenn Sie ihm dafür eine 1 geben wollen, ist das Ihre Sache, aber wie können Sie mir dann eine 2 geben? Mein Aufsatz war dreimal so lang, er hatte einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluß, einen roten Faden, keine grammatikalischen Fehler, keine Rechtschreibfehler – was erwarten Sie?«
    »Das ist eine ausgezeichnete Frage«, sagte Embers. Er sog ausgiebig an seiner Pfeife. »Was ist eine Zensur? Das ist die Frage.« Er kicherte, aber sie verstand offenbar nicht. »Manche Professoren benoten nach Kurven. Man muß Mathe studieren, um seine Zensur zu verstehen! Aber vergessen Sie diese falschen Ausreden. Eine Zensur ist eigentlich eine Form von Poesie. Sie ist die subjektive Reaktion auf die Arbeit eines Lernenden, destilliert und auf ihre reinste Essenz reduziert – kein Sonett, kein Haiku, nur eine einzige Zahl. Das ist bemerkenswert, nicht?«
    »Hören Sie, das ist echt super. Aber Sie müssen Ihre Zensuren so vergeben, daß ersichtlich wird, daß ich besser schreibe als er. Andernfalls sind sie unfair und unrealistisch.«
    Embers schlug die Beine übereinander und sog eine Zeitlang an seiner Pfeife, bis die Glut wieder aufleuchtete. Seine Studentin nahm einen Aufsatz und fächelte den Rauch von ihrem Gesicht weg. »Stört es Sie, wenn ich rauche?« fragte er.
    »Es ist Ihr Büro«, sagte sie mit erstickter Stimme.
    Na gut, sie wollte sich nicht durchsetzen. Schließlich entschied er sich für die beste Vorgehensweise. »Sie schreiben nicht zwangsläufig

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