Big U
Blick in den Spiegel, wo er zwischen zwei Speichen des »Großen Rades« hindurch sah, das mit Rasierschaum daraufgemalt worden war.
Nach einer Weile zupfte er an Casimirs Ärmel. »He«, sagte er. »Leihst du mir mal dein«
Casimir sagte nichts.
»Hm?« sagte der komische Kauz.
»Ich weiß nicht«, sagte Casimir. »Kommt drauf an, was du möchtest. Wahrscheinlich nicht.«
Ganz langsam breitete sich ein Grinsen im Gesicht des Mannes aus; er drehte sich um, als würde er mit imaginären Freunden hinter sich feixen. »Herrgott«, sagte er und wandte sich ab, »ich hasse Pisser wie dich!« schrie er, rannte zu den Spinden gegenüber den Waschbecken und lief ein paar Schritte die Wand hinauf, ehe er wieder auf dem Boden landete. Casimir betrachtete ihn im Spiegel, wie er von Spind zu Spind ging, bis er schließlich einen unverschlossenen gefunden hatte. Der komische Kauz wühlte darin herum und nahm eine Tube Rasierschaum. »He«, sagte er und betrachtete Casimirs Hinterkopf. »He, Mauer.«
Casimir sah ihn im Spiegel an. »Was ist?«
Der komische Kauz begriff nicht, daß Casimir ihn direkt ansah. »He, Wichser! Schwanzlutscher! Kiffer! Du da!« Rhythmisches Quieken einer Frau ertönte aus einer der Duschkabinen.
»Was ist denn?« rief Casimir zurück, drehte sich aber nicht um.
Der komische Kauz kam auf ihn zu und Casimir drehte sich halb defensiv um. Der Kerl stellte sich ganz dicht neben Casimir. »Du hörst nicht besonders gut«, brüllte er, »du solltest deine Brille abnehmen.«
»Willst du irgendwas? Wenn ja, solltest du es mir einfach sagen.«
»Glaubst du, es würde ihn stören, wenn ich das hier benutze?«
»Wen?«
Der komische Kauz schüttelte grinsend den Kopf. »Weißt du etwas über Terrier?«
»Nein.«
»Na ja.« Der komische Kauz legte den Rasierschaum vor Casimir auf die Ablage, murmelte etwas Unverständliches, lachte laut auf und verließ den Waschraum.
Casimir trocknete den Freßnapf unter einem automatischen Händetrockner neben der Tür. Als er den Knopf gerade zum dritten Mal gedrückt hatte, kam eines der Paare aus der Dusche nackt in den Raum und war schon zehn Schritte aus der Deckung, als sie Casimir sahen.
Die Frau schrie und schlug die Hände vor das Gesicht. »Oh, Himmel, Kevin, hier drin ist ein Mann!« Kevin war so entspannt von Sex und Bier, daß er außer einem schwachen Lächeln nichts zustande brachte. Casimir ging wortlos hinaus, holte in der kühlen, trockenen Atmosphäre des Flurs tief Luft und ging in sein Zimmer zurück, wo er Spikes Schale mit Quellwasser aus einer Flasche füllte.
Kaum hatte Casimir von Neutrino gehört, der offiziellen Organisation der Physikstudenten, war er ohne Einladung in einer Versammlung aufgetaucht und hatte sich zum Vorsitzenden und Schatzmeister wählen lassen. So war Casimir, meistens schüchtern, aber mit gelegentlichen Anflügen von Entschlossenheit. Er bet-rat die Versammlung, die bis dahin aus sechs Mitgliedern bestand, und sagte: »Wer ist der Vorsitzende?«
Die anderen, die Physik im Hauptfach studierten und von daher an seltsames Verhalten aller Art gewöhnt war-en, hatten geantwortet. »Der hat graduiert«, sagte einer.
»Nein, als er graduierte, war er nicht mehr unser Vorsitzender. Als der Typ, der unser Vorsitzender war, graduierte, hatten wir im selben Moment keinen mehr«, konterte ein anderer.
»Ich stimme zu«, fügte ein dritter hinzu, »aber der korrekte Ausdruck heißt ›ist graduiert worden‹.«
»Das ist pedantisch.«
»Das ist korrekt. Wo ist das Wörterbuch?«
»Wen interessiert das? Warum willst du das wissen?« fragte der erste. Während die beiden anderen ein Wörterbuch zurate zogen, hielt ein viertes Mitglied einen Taschenrechner in der Hand und kaute geistesabwesend auf dem Stromkabel; die beiden restlichen Mitglieder stritten lautstark über ein unsichtbares Diagramm, das sie mit den Fingern an eine leere Wand malten.
»Ich möchte Vorsitzender dieses Clubs werden«, sagte Casimir. »Irgendwelche Einwände?«
»Oh, schon gut. Wir dachten, du wärst von der Verwaltung oder so was.«
Casimirs Motivation für all das bestand darin, daß es ihm nach dem Sharon-Zwischenfall unmöglich war, seinen nutzlosen Vorlesungen zu entkommen. Die schrecklichen Ereignisse und die Hoffnungslosigkeit seiner Situation hatten ihn mehrere Wochen lang wortkarg und apathisch gemacht, und zwar in einem Ausmaß, daß ich langsam besorgt wurde. Doch dann hatte Casimirs Nachbar eines Nachts von zwei bis vier Uhr morgens
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