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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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selbst Absolution erteilen, als ihm einfiel, daß er durch sein Ehrenwort gebunden war, es keinem zu verraten.
    Er mußte ehrlich sein. Konnte es sein, daß er das nur geschrieben hatte, um sie zu beeindrucken? Alles, was mit einem Computer ausgedruckt wurde, sah überzeugend aus. Wenn das sein Motiv gewesen war, geschah ihm das hier recht. Nun wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, etwas Geistreiches zu sagen, aber er konnte überhaupt nicht gut mit Worten umgehen – eine Tatsache, die ihr mehr als deutlich aufgefallen war, da machte er sich nichts vor. Sie kannte vermutlich jeden klugen, interessanten Mann an der Universität, was bedeutete, er brauchte gar nicht erst zu versuchen, anders auszusehen als ein ungepflegter, armer, von Mathe und Computern besessener Penner, dessen Vorstellung von einem intelligenten Gespräch darin bestand, die morgendlichen Computereskapaden vorzuführen.
    »Du hättest dir nicht die Mühe machen und extra ein Programm schreiben müssen.«
    »Ha! Das war doch keine Mühe. Und es ist einfacher, die Maschine arbeiten zu lassen, als es von Hand zu erledigen. Das heißt, wenn man gut mit dem Computer umgehen kann.« Er biß sich auf die Lippen und sah zum Fenster hinaus. »Was nicht heißen soll, daß ich mich für einen grandiosen Programmierer halte. Ich meine, das bin ich, aber ich selbst sehe mich eigentlich nicht so.«
    »Du bist kein Hacker«, schlug sie vor.
    »Ja! Genau.« Jeder kannte den Ausdruck »Hacker«, also warum hatte er ihn nicht einfach benutzt?
    Sie sah ihn gründlich an. »Sind wir uns nicht schonmal begegnet? Ich könnte schwören, ich kenne dich von irgendwo her.«
    Er hatte gehofft, sie hätte es vergessen oder würde ihn mit seiner dicken Brille nicht wiedererkennen. Am ersten Tag, ja, da hatte er ihre Computerkarte für sie gelesen – so stellte sich ein Hacker eben das perfekte Kennenlernen vor!
    »Ja. Erinnerst du dich an Mrs. Santucci? Am ersten Tag?« Sie nickte lächelnd; sie erinnerte sich so oder so daran. Er sah sie eindringlich an und versuchte, ihre Reaktion zu erkennen.
    »Ja«, sagte sie, »klar. Ich glaube, dafür habe ich mich nie richtig bei dir bedankt, also – danke.« Sie streckte die Hand aus. Casimir sah sie an, dann streckte er ebenfalls die Hand aus und schüttelte ihre. Er drückte sie fest – eine Gewohnheit seiner Branche, wo ein fester Handschlag als Zeichen von Vertrauenswürdigkeit galt. Ihr kam er vermutlich wie ein Orang-Utan vor, der versuchte, ihr die Schulter auszurenken. Davon abgesehen war ihm vor ein paar Minuten etwas Apfel-Johannisbeer-Gelee auf das erste Gelenk des rechten Zeigefingers getropft und er hatte es gedankenlos abgeleckt.
    Sie war schrecklich nett. Das war ein dämliches Wort, »nett«, aber ein besseres fiel ihm nicht ein. Sie war klug, freundlich, verständnisvoll und freundlich zu ihm, was anständig von ihr war, stellte man sein ausgehungertes, fanatisches Äußeres und seine ganz allgemeine legendäre Häßlichkeit in Rechnung. Er hoffte, daß dieses Gespräch bald zu Ende sein und sie hinterher eine wunderbare Beziehung haben würden. Ha.
    Niemand sagte etwas; sie betrachtete ihn nur. Na logisch! Er war an der Reihe, etwas zu sagen! Wie lange saß er schon da und starrte in den marineblauen Schlund seines Törtchens?
    »Was studierst du?« fragten sie gleichzeitig. Sie lachte sofort, und er lachte mit einer gewissen Verspätung ebenfalls, allerdings hörte sich sein Lachen wie ein Keuchen und Schluchzen an, als wäre er im Griff einer explosionsartigen Dekompression. Dennoch entspannte er sich ein klein wenig.
    »Oh«, fügte sie hinzu, »tut mir leid. Ich hatte ganz vergessen, daß Neutrino für Physikstudenten ist.«
    »Das muß dir nicht leid tun.« Es tat ihr leid?
    »Ich studiere Englisch.«
    »Oh.« Casimir wurde rot. »Dir ist wahrscheinlich aufgefallen, daß Englisch nicht meine starke Seite ist.«
    »Ganz im Gegenteil. Als du gestern abend gesprochen hast, hast du deine Sache ganz gut gemacht, nachdem du erst einmal in Fahrt gekommen warst. Dasselbe heute, als du deine Kurven beschrieben hast. Viele der besseren Wissenschaftler beherrschen ihre Sprache ausgezeichnet. Klare Gedanken führen zu klarer Rede.« Casimirs Puls schlug doppelt so schnell wie normal und er verspürte eine Wärme in den unteren Regionen. Er schaute in die Tiefe seines halb ausgetrunkenen Biers und wußte nicht, was er sagen sollte, weil er Angst hatte, es könnte grammatikalisch falsch sein. »Ich bin erst seit ein paar

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