Big U
Wochen hier, habe aber gehört, daß S.
S. Krupp ein begnadeter Redner sein soll. Stimmt das?«
Sarah lächelte und verdrehte die Augen. Zuerst hatte Casimir sie für eine typische gutaussehende junge Frau gehalten, doch in dem Moment wurde ihm klar, daß er sich geirrt hatte; sie war absolut reizend. Er versuchte, sie nicht anzustarren, und stopfte sich die letzten drei Bissen Kuchen in den Mund. Beim Kauen versuchte er, ihren Ausführungen zu folgen, damit er den Faden des Gesprächs nicht verlor und am Ende wie ein zerstreuter Hacker dastand, der mit niemandem etwas anfangen konnte, der nicht dazu bestimmt war, Experte für Maschinensprache zu werden.
»Er ist ein begabter Redner«, sagte sie. »Wenn du dich je in einer Frage auf der entgegengesetzten Seite von S.
S. Krupp befindest, kannst du sicher sein, daß er dich früher oder später herumkriegen wird. Er kann dir für alles, was er tut, einen guten Grund nennen, der auf seiner grundlegenden Philosophie basiert. Es ist ehrfurchterregend, finde ich.«
Endlich war er damit fertig, sich Junk food in sein bärtiges Gesicht zu stopfen. »Aber wenn er dich argumentativ überwindet – kann man das sagen?«
»Wir lassen das einfach durchgehen.«
»Wenn er das macht, stimmst du ihm dann wirklich zu, oder denkst du, daß er dich einfach nur übertrumpft hat?«
»Darüber habe ich oft nachgedacht. Ich weiß es nicht.« Sie lehnte sich zurück, wurde von ihrem Stuhl gepiekst und beugte sich wieder vor. »Was sage ich da? Ich studiere Englisch im Hauptfach!« Casimir kicherte, weil er nicht recht folgen konnte. »Wenn er etwas in einem fairen Streitgespräch rechtfertigen kann und niemand kann Löcher reinbohren, dann kann ich wohl schlecht widersprechen, oder? Ich meine, man muß irgendwelche Anker für seine Überzeugungen haben, und wenn man klarer, korrekter Sprache nicht mehr vertraut, wie soll man dann noch wissen, was man glauben soll?«
»Was ist mit intuitiven Eingebungen?« fragte Casimir und überraschte sich selbst damit. »Du weißt, die großen Entdeckungen der Physik wurden nicht durch Streitgespräche gemacht. Sie waren blitzartige Eingebungen, und die Erklärungen und Beweise dachte man sich später aus.«
»Okay.« Sie trank ihren Kaffee aus und dachte darüber nach. »Aber diese Wissenschaftler brauchten dennoch verbale Beweise, um sich selbst zu überzeugen, daß ihre Entdeckungen real waren.«
Bis jetzt, dachte Casimir, schien sie mehr interessiert als abgeschreckt zu sein, daher widersprach er weiter. »Wissenschaftler brauchen keine Sprache, die ihnen sagt, was real ist. Mathematik ist die höchste Realität. Einen anderen Anker brauchen wir nicht.«
»Das ist interessant, aber mit Mathe kann man keine politischen Probleme lösen – in der realen Welt ist sie nicht nützlich.«
»Aber Sprache auch nicht. Man braucht Intuition. Man muß seine rechte Gehirnhälfte benutzen.«
Sie schaute wieder zur Uhr hinauf. »Ich muß jetzt gehen und mich für Krupp vorbereiten.« Nun sah sie ihn an – abschätzend, dachte er. Sie wollte gehen! Er wollte verzweifelt um eine Verabredung bitten. Aber zu viele Frauen hatten ihn ausgelacht, das konnte er nicht mehr ertragen. Und doch saß sie auf die Ellbogen gestützt da
– wartete sie darauf, daß er sie fragte? Unmöglich. »Äh«, sagte er, und gleichzeitig sagte sie: »Treffen wir
uns ein andermal wieder. Möchtest du das gern?«
»Klar.«
»Prima!« Nach einigen Verhandlungen einigten sie sich darauf, sich Freitagabend im Megapub zu treffen.
»Ich kann kaum glauben, daß du Freitag nichts vor hast!« stieß er hervor, worauf sie ihn seltsam ansah. Sie stand auf und hielt ihm wieder die Hand hin. Casimir rappelte sich auf und schüttelte sie sanft.
»Auf bald«, sagte sie und ging. Casimir blieb stehen, sah ihr nach, bis sie den gesamten polierten Boden des Megapub überquert hatte, sackte auf seinen Stuhl und verlor fast das Bewußtsein.
Sie mußte nicht lange in der Marmor-und Mahagonipracht von Septimius Severus Krupps Vorzimmer war-ten. Dabei hätte sie mit Freuden Tage hier gewartet, besonders wenn ihre Lieblingsmusik gelaufen und vielleicht Hyacinth dabei gewesen wäre und sie die Schuhe hätte ausziehen und zum Fenster hinaus über die üppige Reihe gesunder Pflanzen schauen können. Der Verwaltungstrakt des Plex war eine Anomalie, wie eine viktorianische Villa, die von London per Luftfracht hierher befördert worden und in einem Stück in eine Nische unter dem C-Turm fallen
Weitere Kostenlose Bücher