Biker's Barbecue (German Edition)
unterwegs war, und dem ich dafür meinen gestreckten rechten Mittelfinger zeigen musste. Er ist dann gut zwei Minuten im Schrittempo vor mir hergefahren und hat offenbar überlegt, ob er mir für diese unfreundliche Geste eine knallen soll (und was dabei für ihn zu holen wäre).
Wahrscheinlich hat er seine Schrotflinte nicht gefunden …
An der Grenze zu Kalifornien gibt’s Fahrzeugkontrolle: Wie an einer Staatsgrenze wird jedes Vehikel einzeln angehalten. Sehen will man allerdings weder unsere Reisepässe noch die selbst gedruckten Dollarscheine oder unsere gefälschten Beachboys-CDs, die wir am Strand von Malibu verkaufen wollten. Es geht um Gemüse! Lebensgefährliche Petersilie, tödlichen Kohlrabi, Fleisch fressende Zucchini. All dies und jede noch so ungefährliche Abart davon darf nicht nach Kalifornien.
„No Grünzeug!“, herrscht uns die Zöllnerin von ihrer Kabine aus an. – „Was??“ – „No Grünzeug into California!!!“ Ach so. Wir hatten wohl ein bisschen Petersilie in den Ohren. – Passieren dürfen wir trotzdem.
Am Abend erreichen wir nach 95 Kilometern Alturas. Es wird unsere erste Nacht in Kalifornien sein: Uns ist richtig feierlich zumute!
Vergeblich versuchen wir, mein Speichenproblem zu lösen (wer nach Alturas kommt, sollte nur kaputte Kettensägen und Rasenmäher der Marke Husqvarna zu reparieren haben, denn hier dürfte Kaliforniens Generalvertretung zu Hause sein), trösten uns aber mit Bananensplit und einem Erdnuss-Malt-Shake ganz gut darüber hinweg.
Anschließend machen wir eine verwaiste Kirche ausfindig und rufen von einem Nachbarhaus aus den dazugehörigen Pastor an. Pastor Bud (er sieht aus wie August Paterno) kommt prompt vorbei und nimmt uns mit zu sich nach Hause. Dort macht uns seine Frau Hazel ein tolles Abendessen: Geschnetzeltes mit Kartoffeln, Erbsen und Rahmsauce, des Weiteren knusprig gebackene Brotscheiben mit Traubengelee. Dazu schütten wir mindestens eine Gallone amerikanischen Trauben-Verdünnungssaft (ein Klassiker!) in uns hinein.
Als ich am späteren Abend meine Brille aufsetzen will, greife ich ins Leere. Ungläubig verteile ich den gesamten Inhalt meiner Radtaschen über das Bett, während ich vor meinem geistigen Auge noch einmal die einzelnen Vorgänge des heutigen Morgens abspule: In Gedanken ziehe ich mich noch einmal aus, betrete die Dusche, lege meine Brille ab, dusche mich und setze mir anschließend die Kontaktlinsen ein. Darüber, dass ich die Brille aus der Dusche hole und sie wieder in ihr Etui packe, finden sich leider keine Aufzeichnungen.
Sch… – schön jedenfalls, dass ich meine Kreditkarte wieder hab!
Pater Bud ist schon ein toller Gastgeber: Als er erfährt, dass wir unterwegs ein paar US-Nummernschilder gefunden haben und die Dinger jetzt sammeln, schenkt er mir einfach die alten Tafeln, die bei ihm in der Garage hängen.
31.
The thrill is gone. B. B. King
Nach einem kräftigen Frühstück bin ich auch moralisch stark genug, die entsprechenden Maßnahmen für meine in Lakeview vergessene Brille zu treffen: Mit einer gewissen Routine rufe ich zuerst die Polizeistation in Red Bluff an (ein Ort auf unserer künftigen Route) und frage, ob man dort wohl meine Brille in Empfang nehmen würde. Als das klappt, kontaktiere ich unsere Freundin Erika in Lakeview: Erika ist glücklicherweise daheim und sie verspricht, dass sie meine Brille nach Red Bluff schicken wird.
Mühsam nährt sich das Eichhörnchen: Nur, weil wir jetzt in Kalifornien sind, ist die Berg-und-Tal-Bahn noch keineswegs beendet. Die Ausläufer der Rockies bringen uns auch jetzt noch ordentlich ins Schwitzen. Das Schönste ist heute die große Abfahrt über den Adin-Pass: Auf einmal taucht vor uns im Dunst völlig unerwartet der mehr als 4000 Meter hohe, schneebedeckte Mount Shasta aus der Ebene auf.
Jeden Moment rechne ich damit, dass mein Hinterrad auf einer der Abfahrten endgültig den Geist aufgibt und ich die letzten zwanzig Meter meines Lebens im Flug zurücklege.
Irgendwas auf dieser Reise muss mich unheimlich verweichlicht haben: Für die Zeit nach meiner Rückkehr habe ich mir jedenfalls geschworen, nur noch mit dem Auto zu fahren und in den Pausen dazwischen mit Mikrowellen-Popcorn vor dem Fernseher zu sitzen …
Um die Zeit bis zur Heimkehr zu überbrücken, habe ich mir außerdem noch eine kleine Paranoia zugelegt, mit der ich bis dahin herumspinnen kann: Ich habe Angst, unsere Reise nicht beenden zu können – entweder durch einen
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