Biker's Barbecue (German Edition)
Schöpfer ausstreckt, um ein wenig von dessen göttlichem Funken zu erhaschen. Unwillkürlich habe ich auch meine Hand ausgestreckt. Nicht so theatralisch wie bei Michelangelo. Eher schon wie im römischen Zirkus: Daumen nach oben. Ihr sollt leben. Aber das tut ihr sowieso schon. Toll, was ihr da macht. Den Berg habt ihr bald geschafft.
Der Funke springt über. Die beiden lächeln. Richtig glücklich sehen sie aus. Sie verstehen, worum’s geht. Bloß: Sie stehen erst am Anfang. Für mich sind’s die letzten Tage. Bedauern? Mitgefühl? Schwer zu sagen. Vielleicht auch Neid.
Wir arbeiten uns weiter durch die Gesteinsschichten nach unten. Es ist eine Art Countdown in die Ebene, denn unser Ziel, der Pazifik, liegt bei null. Die ersten Höhenmeter, die es nun wieder abwärts geht, haben wir erst vor ein paar Minuten mühselig erklettert. Verschwenderisch gehen wir jetzt damit um. Nie wieder wird uns unsere Reise auf solche Höhen führen wie jetzt. Niemals wieder. Die Endgültigkeit, die darin liegt, ist überwältigend.
Die Berge – Symbole für unsere Hartnäckigkeit, Monumente unserer Willenskraft. Für mich hatten sie außerdem eine ganz besondere Bedeutung während all der Wochen: ein Gleichnis für den Kampf gegen die Schwierigkeiten des Alltags, für den Entschluss, niemals aufzugeben. – Berge bekämpfen: Das hat ein bisschen was von Don Quixote, der gegen Windmühlen kämpft. Aber eben nur ein bisschen. Denn unser Kampf ist nun vorbei.
Auf dem Weg hinunter von Eskimo Hill erleide ich einen kleinen Tod. Es sind nicht nur die unsäglichen Herausforderungen dieser Reise, die plötzlich auf dem Sterbebett liegen. Es ist unsere eigene Existenz, die Inhalte eines gewaltigen Sommers, von denen wir nun langsam Abschied nehmen müssen. Ich spüre das Ende kommen.
Immer weiter geht es abwärts, scheinbar unaufhaltsam – obwohl man doch so leicht die Bremsen ziehen könnte. Schließlich werden wir auch noch das verbrauchen, was wir zu Beginn dieser Reise – vor Monaten, an der Ostküste – angehäuft haben: Sacramento Valley liegt nur noch 100 Meter über dem Meer.
Es ist, als ob mein ganzes Leben an mir vorbeizieht. Die Gefühle übermannen mich. Ich muss gegen Tränen ankämpfen. – Männer weinen nicht? Blödsinn. Aber sie sollten es nicht tun. Nicht auf einer winkeligen Straße bei 50 km/h.
Wir ziehen durch, hinunter nach Shingletown. Und weiter. Schließlich finden wir sogar die Black Butte Road, eine wenig befahrene Verbindungsstraße, die uns ein Einheimischer empfohlen hat.
Schön ist’s hier. Rauf und runter über eine Unzahl malerischer Hügel und Täler. Das erinnert irgendwie an die Weinberge von Nussdorf bei Wien.
Die Black Butte Road liefert endlich jenen Panoramablick ins weite Sacramento Valley, den ich mir eigentlich für unseren feierlichen Einzug nach Kalifornien vorgestellt hatte. Im westlichen Dunst ist bereits die letzte Bergkette zu erkennen, die uns noch den Blick auf den Ozean versperrt. Wir aber werden uns in der Ebene nach Süden wenden, den Flusslauf des Sacramento River entlang.
Als wir die Hügellandschaft überquert haben, geht’s nur noch bergab. Die Straße ist länger und der Weg weiter, als wir dachten. Schmale Serpentinen führen einen steilen Hang hinunter und eröffnen erneut eine phantastische Aussicht auf das Tal. Und schließlich endlose Reihen von Walnussbäumen. Jetzt sind wir wirklich in Kalifornien! Das hat nun endlich auch die Vegetation kapiert.
An einer Kreuzung eine Stunde vor Red Bluff erweckt eine urige Bar unsere Aufmerksamkeit: ungeschälte Fichtenholzbalken an der Straßenfront. Altes, rostiges Bauerngerät im Graben und auf dem ungepflegten Rasen neben dem Haus. Neonflackernde Bierwerbung hinter schmutzigen Auslagenscheiben: Wir bekommen Lust, hier zu bleiben und am Abend die Bar auch von innen auf uns wirken zu lassen. Da uns allerdings unser künftiger Schlafplatz nach Begutachtung der vier bis fünf umliegenden Häuser nicht sofort ins Auge springt, besuchen wir die Bar lieber gleich. Es ist sowieso schon Abend. Und dieses Lokal haben wir uns nach 148 Kilometern Radfahren wirklich verdient.
Die Bar erweist sich als urgemütlich – etwas für echte Barflies: schummriges Licht, zwei Barkeeper, drei Stammgäste – natürlich alles alte Freunde. Wir mischen uns unauffällig unters Volk. Und werden prompt als verrückte Exoten akzeptiert. Eine Hand voll handsignierter Ein-Dollar-Scheine hängt an der Decke. Wir nageln noch einen dazu. Unsere
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