Bilder Aus Dem Berliner Leben
Original aber das schlechteste Geschäft machte. »Vorher lachte man über sein Bild, jetzt aber über ihn selbst«, schließt unser Gewährsmann. So harmlos war man damals in Berlin! Aber der »Kladderadatsch« hat die Weihnachtsausstellung getötet, und was ich von derselben in den ersten fünfziger Jahren noch gesehen habe, war ein letztes Aufflackern vor dem Verscheiden, ohne daß irgendein charakteristischer Zug mir erinnerlich geblieben wäre. Dagegen haben zwei oder drei Begegnungen diese Konditorei mir unvergeßlich gemacht.
Oft an den Nachmittagen traf ich hier einen damals etwa vierzigjährigen Mann von feiner, untersetzter Gestalt, von feinen Sitten und feinem Urteil. Er war der erste Berufsschriftsteller, mit dem ich in persönliche Beziehung kam, und der erste, der mir in jenen Tagen des Anfangs, wo man sich so leicht über alles hinaussetzt, einen würdigen Begriff von diesem Berufe gab. Verfasser zweier episch-lyrischer Dichtungen, des »Victor« und des »Hohen Liedes«, die bei der Jugend von 1848 außerordentlich gezündet, hatte er seitdem die gelehrte Laufbahn aufgegeben, um sich ganz der Literatur zu widmen; und seine Kritiken in der »National-Zeitung« über Bücher, über Bilder und besonders über das Theater gehörten zu dem Besten, was in den Jahren geschrieben ward, als die Journalistik eben eine Macht zu werdenbegann. Im innersten Herzen ein Poet und eben darum so warm für jede poetische Schönheit, dabei maßvoll und streng, von hohen Anforderungen mehr noch für sich als für andere vielleicht, immer träumend von neuen Gedichten, die er niemals geschrieben, übte seine Kritik einen großen und heilsamen Einfluß. Wer weiß, ob die Besorgnis, den eigenen Maßstäben nicht zu genügen, dem Dichter nicht die Lippen schloß? Je mehr er der zeitgenössischen Produktion durch Lob und Tadel sich förderlich erwies, desto weiter ward er gleichsam der eigenen entrückt, bis eines Tages in den ersten sechziger Jahren uns die Nachricht überraschte, daß Herr von Hülsen den gefürchteten »T«-Kritiker der damaligen Oppositionszeitung als Dramaturgen in die Verwaltung der Königlichen Schauspiele berufen habe. Hier, in den feierlichen Räumen der Generalintendantur, entschwand Titus Ulrich seinen alten Freunden allmählich; aber heute noch, wo er nach abermals fünfundzwanzig Jahren ehrenvoller Tätigkeit auch diesen Posten verlassen hat, seh ich ihn vor mir wie damals in der Konditorei von Fuchs Unter den Linden. Ich entsinne mich noch des Augenblicks und der Erregung, die mich ergriff, als er hier eines Tages mir seinen Freund Karl Beck vorstellte, der, um einige Jahre jünger als Titus Ulrich, damals auf der Höhe seines Schaffens und seines Ruhmes stand. Von zartem Körperbau, mit hellem Aug und Haar, glich Beck keineswegs dem Bilde des feurigen Sängers der Freiheit im ungarischen Schnürenrock, welches ich einmal vor einer Ausgabe seiner Gedichte gesehen und unter welchem ich mir seitdem den Landsmann Lenaus, den Dichter des »Janko«, der »Nächte«, der »Lieder vom armen Mann« vorgestellt hatte. Diese Gedichte, die sämtlich vor das Jahr 1848 fallen, waren von einer mächtigen Wirkung gewesen und hatten ihrem Verfasser das Martyrium des politisch Verfolgten eingebracht, welches,in der Stimmung jener Tage, für unzertrennlich galt vom echten Dichterruhm. In dieser doppelten Glorie, den Traditionen meiner Jugend gemäß; erschien mir Karl Beck, als er Anfang der fünfziger Jahre zu Besuch in Berlin und ein gefeierter Gast war. Langsam jedoch, von Jahr zu Jahr mehr, verblaßte der eine Glanz mit dem anderen; als er nicht lange nach 1866 wiederkam, da sah ich fast einen Gebrochenen, und als er 1879 starb, war er ein halb schon Vergessener. So kurz ist das Gedächtnis der Menschen oder so stark vielmehr und unwiderstehlich der Zug der Zeit. Wer an sie, wer an ihren Geist anknüpft, der muß es sich gefallen lassen, mit der Welle zu steigen und mit ihr zu sinken. Es mag für den Moment ein lohnendes, aber es wird für die Dauer immer ein fruchtloses Bemühen sein, dem Zeitgeist einen Ausdruck geben zu wollen – er hat nichts Bleibendes an sich, er lebt und er stirbt mit seiner Generation. Denn:
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Die Welt von 1866 und 1870 verstand die von 1848 nicht mehr; Becks ältere Gedichte, von so hinreißender Gewalt für diese, hatten ihren Zauber für jene verloren, und die neuen,
Weitere Kostenlose Bücher