Bilder Aus Dem Berliner Leben
sprechen wie von einem Lebenden. Andere, die bei der Arbeit Invaliden geworden, haben Ruheposten erhalten, und alle hängen an dem Hause mit einer Art von Familiensinn. Unter solchen Einflüssen wächst das jüngere Geschlecht der Arbeiter heran, und hier wenigstens scheint kein Boden zu sein für den sozialen Unfrieden, wo der Geist Borsigs gleichsam noch persönlich fortwirkt, und sein Beispiel zeigt, was jeder auf dem Wege redlicher Arbeit zu erreichen vermag.
Einst, als ganz junger Mensch, war er auf Veranlassung Beuths aus dem königlichen Gewerbe-Institut fortgewiesenworden, weil er keinen Sinn für Chemie habe. Dafür stellte Borsig siebenzehn Jahre später (1842) auf der ersten Berliner Industrie-Ausstellung eine Lokomotive aus, der er den Namen »Beuth« gegeben; und neben den Medaillons von Humboldt und Schinkel, von Rauch und Stüler, welche die dem Borsigschen Park zugekehrte Front des Verwaltungsgebäudes schmücken, ist auch dasjenige des unvergeßlichen Förderers des preußischen Gewerbefleißes und der Berliner Industrie. So dankte Borsig dem, der nicht eben rühmlich an ihm gehandelt, aber dadurch providentiell für ihn geworden war. Ein Maschinenbauer sollte er sein, und ein Maschinenbauer war er zehn Jahre lang (1826 bis 1836) in der Eggelsschen Eisengießerei, dem einen von den drei Privatetablissements dieser Art im damaligen Berlin. In harter Arbeit erwarb er sich ein kleines Vermögen, ich glaube fünftausend Taler in zehn Jahren, kaufte sich ein Grundstück vor dem Oranienburger Tor, wo heute die Chausseestraße ist, und errichtete daselbst ein eigenes Hüttengebäude. Hier baute Borsig seine erste Lokomotive; die erste, die jemals auf deutschem Boden gebaut worden ist. Am 24. Juni 1841 wurde sie fertig. Die ganze Nacht war gearbeitet worden, und die ganze Nacht durch hatte Borsig – wie dessen Biograph, Hermann Vogt, erzählt – unter seinen Arbeitern gestanden, voller Aufregung, voller Zweifel, ungewiß, ob sein Werk gelungen. Endlich dämmerte der Morgen, ein Sonntagmorgen, und die Maschine wurde geheizt. Es war vier Uhr früh. Langsam erwärmte sich der Kessel, das Wasser begann zu sieden, der Dampf stieg auf, die Zylinder arbeiteten, die Kolbenstangen reckten, die Achsen bewegten, die Kurbel drehte sich, die Räder rollten – und »sie geht!« rief Borsig seinen Ingenieuren zu. Mit diesen zwei Worten war seine Zukunft entschieden, in ihnen lag Ruhm und Reichtum, lag seine Lebensaufgabe: nämlich, den deutschenLokomotivbau von der Arbeit und selbst dem Material des Auslandes frei zu machen. Denn bis dahin wurden die fertigen Lokomotiven und lange noch ward das Schmiedeeisen aus England bezogen.
Nur noch fünfzehn Jahre waren Borsig vergönnt, aber sie reichten hin. Wo sein erstes Hüttengebäude stand und seine erste Lokomotive ging, erhebt sich auf dem ehemals freien Feld jetzt, in einer neuen Stadtgegend, die sich weit gegen Norden erstreckt, und inmitten einer Arbeiterbevölkerung, die nach vielen Tausenden zählt, aus einem Walde von Schornsteinen jener ungeheure Komplex von Werkstätten und Hallen, in denen seitdem an die viertausend Lokomotiven gebaut worden sind, aus dem Eisen und dem Stahl, die in den eigenen Werkstätten von Moabit geschmiedet und gegossen, mit dem Erz und der Kohle, die aus den eigenen Gruben in Schlesien gewonnen werden.
Borsig starb im besten Mannesalter nach kaum vollendetem fünfzigsten Lebensjahr, und er ruht auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof, gerade gegenüber seiner Maschinenbauwerkstatt in der Chausseestraße. Sein Sohn, der Erbe seiner fürstlichen Besitzungen, ward nicht einmal so alt wie der Vater; er starb vor fünf Jahren, als eben das schöne Palais an der Ecke der Voß- und Wilhelmstraße fertig geworden, welches heute noch leer steht. Still auch ist es in dem Park von Moabit, und in dem Landhause wohnen zwei Witwen. Aber ein hübscher Knabe, der Sohn des letzten Besitzers, tummelt sich auf dem Rasen, und er läuft mir mutwillig voran zu den Sehenswürdigkeiten des Gartens, welcher mit großer Liberalität jedem Besucher offensteht.
Oftmals auf meinem Abendgang komm ich hierher zu dem nunmehr wohl etwas vereinsamten Sitz eines Fürsten der Industrie; zu den weiten Rasenflächen mit den schönen Baumgruppen, durch welche der Abendhimmelschimmert. Am Tore steht der Portier mit der goldgeränderten Mütze. Dann erscheint das stilvolle, geräumige, jedoch nichts weniger als auffallende Herrenhaus, die Hinterfront ganz in Grün versteckt.
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