Bilder Aus Dem Berliner Leben
bietet sich mir ein anderes Bild. Es ist die Stunde, wo die Fabriken Feierabend machen und die Fabrikarbeiter heimkehren, jeder mit seinem Blechkesselchen in der Hand. Nur noch vereinzelt dröhnt der Schlag der Hämmer herüber vom jenseitigen Ufer, wo der Nachtdienst beginnt; denn in diesen Fabriken der Eisen- und Maschinenbauindustrie, wo die großen Feuer immer in Brand gehalten werden müssen, sind die Arbeiter in zwei Schichten geteilt, eine Tages- und eine Nachtschicht, die einander ablösen; und mit dem Rauch, wie er aus dem Schornstein steigt, mischt sich, bei eintretender Dunkelheit sichtbar, die rötliche Flamme. Noch bewegen sich zwischen den schwerbefrachteten Fahrzeugen, welche von je zwei Schiffern mit mächtigen Stangen mühsam von der Stelle geschoben werden, die leichten Kähne. Denn das Wasserfahren steckt dem Berliner im Blute; die jungen Männer und die Mädchen, sie verstehen beide das Ruder kräftig zu handhaben, dasSteuer geschickt zu lenken – sie sind die echten Nachkommen der Fischer, welche sich zuerst in den Sümpfen von Kölln angesiedelt haben. Kein größeres Vergnügen für diese Menschen, als am Sonntag das Boot loszubinden und hinauszufahren und zu singen: »Das Schiff streicht durch die Wellen«, oder »Auf, Matrosen, die Anker gelichtet«. Von einem hohen Mastbaum am Ufer weht die dreifarbige Flagge der deutschen Marine, und am Landungsplatz steht ein Mann, den Bart geschoren nach Art der Seefahrer, mit einem blauen Rock und dem Zeichen des Ankers auf den metallenen Knöpfen. Er ist der Kapitän und vermietet die Kähne. Ringsumher liegt Schiffsgerät, stehen Fischkästen, hängen Netze und Körbe. Kähne, die ausgebessert werden sollen, sind ans Land gezogen; während die mobile Flotille festgemacht im Hafen ruht – Boot neben Boot, eins neben dem andern, grün angestrichen und sauber geputzt. Weiter zurück die großen Wasseromnibusse mit den grotesken Schiffsfiguren am Schnabel, mit roten und gelben Türkenköpfen – mit einem Dach versehen, wie die beste venezianische Gondel. Sie fahren von den Zelten nach Moabit und von Moabit nach den Zelten, zehn Pfennige die Person. Ein gar lustiges, kleines Hafenbild, immer bunt und belebt. Frauen, sind da, welche Salzbrezeln feilbieten. Der Wurstkessel dampft. »Schöne Warme! Schöne Kirschen!« Ein kleines Mädchen, ein »Dreikäsehoch«, wie man zu sagen pflegt, kommt mit Zündhölzchen. »Ick habe ja noch keen Handjeld verdient – jeben Sie mir doch Handjeld, ja, lieber Herr?« ruft sie schmeichelnd. Indessen haben sich auch die Zelte bevölkert, eines nach dem andern hat sich mit Menschen gefüllt, und da, wo die feinen Herren und die feinen Damen des vorigen Jahrhunderts so zierlich miteinander konversiert haben, fahren die Droschken im Rondell auf.
Jenseits desselben pflegt es um diese Zeit stille zu werden. Eine der anmutigsten Spreelandschaften liegt vor mir: mit dem dichten Massiv des Tiergartens auf dem linken, dem Kirchturm und den Schornsteinen und Baumgruppen von Moabit auf dem rechten Ufer und dem breiten, stillen Fluß dazwischen, hell vom Glänze des Westens. Langsam herüber zieht der Rauch unter dem Abendhimmel, vom Abendrot durchleuchtet und mit den Wolken, dem grünen Ufer und den gelblichen Bögen der Stadtbahn sich spiegelnd in der schillernden Flut. Bei der Eisenbahnbrücke hält ein Fischerboot. Zwei Männer stehen darin aufrecht in hohen Wasserstiefeln, Körbe auswerfend und wieder heraufziehend, so daß das schwarze Gewässer daran heruntertropft: sie fangen Aale und bewegen den Kahn an einer eisernen Kette quer durch den Fluß. Weiter hinauf, unter einer alten Weide, steht eine Wäscherin. Die Weiden an der Spree sind die herrlichsten, die man sehen kann; einige breit und mächtig, andere hexenhaft verbogen, geben sie mit ihrem feingefiederten, graugrünen Laub und vielverästelten Gezweig der Landschaft zugleich etwas Phantastisches und Schwermütiges, zumal in der Abenddämmerung. Die Ligusterhecke, den Rasen und das niederhängende Gebüsch nährt die Feuchtigkeit des Wassers, und indem man dem Laufe der Spree folgt, verliert sich mehr und mehr der Charakter der Stadt. Zuletzt gelangt man an eine Stelle, wo sie ganz aufzuhören scheint, und man erblickt das offene Land; aber freilich schon im Kampfe mit der Stadt, die langsam, langsam, aber auch wie das Verhängnis unaufhaltsam aus der Ferne heranschreitet. Schon liegen hohe Backsteinhaufen aufgetürmt, schon ist der weiche Boden von Räderspuren
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