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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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so großen Stadt verschlingt das Leben den Tod, und wer weiß, ob nach abermals zwanzig, dreißig Jahren nicht auch um sie das Häusermeer sich geschlossen haben wird wie um jene? Wie weit sollen sie dann wandern, damit die Stadt sie nicht mehr erreichen kann? Oft, an diesen Gräbern, kommtmir der Gedanke, wenn die Toten erwachen, wenn sie die Augen aufschlagen und die Sonne wieder sehen könnten, würden sie sich nicht fremd fühlen in dieser anders gewordenen Welt – würden sie das Leben noch einmal anfangen, den Kampf noch einmal kämpfen mögen oder nicht Heimweh haben und zurückverlangen in ihr Dunkel und Schweigen? Und wenn ich dann von diesen Orten des Schlummers wieder in das Wogen der Menschheit zurückkehre und, wohin ich auch gehen mag in dieser ungeheuren Stadt, immer und überall die Tausende sehe, die einander drängen, stoßen oder ausweichen – wo, frag ich dann wohl, wo werden diese einmal Ruhe finden und wo, wo wird Platz sein für sie alle? Dann, wenn vielleicht durch eine der belebten Straßen ein Leichenwagen kommt, nicht einer von denen, die mit schwarzen Federn geputzt und von zahllosen Equipagen gefolgt sind, sondern ein dürftiger, dessen schwarzes Zeug abgeschabt und grau geworden ist, der über das Steinpflaster rasselt, dessen Kutscher die Pferde zur Eile antreibt und hinter dem nur wenige Leute gehen – was, frag ich mich dann, ist trauriger: einsam in einer solchen Stadt zu leben oder einsam darin zu sterben?
    Vielleicht war dieser Mann – doch ich will nicht philosophieren. Wenn es in Berlin etwas gibt, was die Seele zu beruhigen vermag, nicht allein diejenige, die der frische Schmerz hierherführt, sondern ebensosehr die, welche der Betrachtung und des Aufblicks bedarf: so ist es gewiß ein Besuch auf unseren Kirchhöfen. Keine ländlichen Friedhöfe mehr, auf welche die Sonne des Himmels von Morgen bis Abend scheinen kann; und dennoch wieviel Grün, wie viele Blumen, wie viele Bäume – welche Gärten sind es und mit welch rührender Liebe werden sie gepflegt! Ich erinnere mich einer Stelle aus dem »Skizzenbuch« von Washington Irving: »Als ich in Berlin war«, sagt er, »folgte ich dem berühmten Ifflandzum Grabe. In der Pracht des Begräbnisses konnte man auch viel wirkliches Gefühl unterscheiden. Mitten in der feierlichen Handlung ward meine Aufmerksamkeit durch ein junges Mädchen angezogen; sie stand auf einem mit frischem Rasen bedeckten Hügel, den sie ängstlich vor den Füßen der vorüberdrängenden Menge beschützte. Es war das Grab ihrer Eltern; und die Gestalt dieser liebenden Tochter erschien mir wie ein Denkmal, ergreifender als das kostbarste Werk der Kunst.«
    Zwei Menschenalter sind seitdem vergangen, ein Grab nach dem anderen ist hier aufgeworfen worden und wieder eingesunken, vielleicht auch das, in welchem, zur Seite der Eltern, das junge Mädchen von damals ruht. Aber immer noch, auf der Granitplatte, an der Mauer des Jerusalemer Kirchhofs, strahlt der Name des großen Künstlers, welcher der kleinen Geschichte Washington Irvings ihr Relief und der schönen Handlung einer Namenlosen etwas von seinem Glanze gegeben hat.
    Die Begräbnisplätze vor dem Halleschen Tore, die der Jerusalemer und Neuen Kirche, der Dreifaltigkeits- und Halleschen-Tor-Gemeinde, der Herrnhuter und böhmischen Brüdergemeine, bilden einen weiten, zusammenhängenden Komplex zwischen der Belle-Alliance- und der Pionierstraße. Aus der gedrängt vollen Straße tritt man in den gedrängt vollen Kirchhof – gedrängt voll von Gräbern, eines dicht am anderen, so daß man zuerst ganz verwirrt ist bei der Menge. Doch alle sind mit Grün bedeckt, und die Abendsonne scheint über der Mauer herein. Die roten und die blauen Blumen funkeln; und viele schwarz gekleidete Damen mit ihren Kindern sind an den Gräbern. Täglich, zur Sommerzeit, in den Abendstunden, kommen sie hierher; und glaube man nicht, wenn am Sonntagnachmittag die bunte Menge durch dieBelle-Alliance-Straße hinauszieht, fröhlich und unbesorgt an den Kirchhöfen vorbei, daß diese darum nicht auch ihre Besucher hätten. Dann regen sich hier Hunderte von Händen, und manches wunde Herz und manches verweinte Auge findet Trost in dem lieben, traurigen Tun. Wie gleichgültig würden uns diese Menschen sein, wenn wir ihnen draußen begegneten; wir sehen sie an einem Grabe, und wir fühlen uns ihnen verwandt. Die Gemeinden dieser Kirchhöfe gehören zu den angesehensten und vornehmsten von Berlin. Viel von dem, was, weit in die

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