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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Wägelchen, das in munterem Tempo herankommt und mit einer Art fröhlichen Allegros über den Platz rennt. Wenn ich das höre, nach dem zuweilen schweren Andante der Nacht, dann ergreift Freude mein Herz – denn es ist der Milchmann, der Milchwagen. Er kommt zwar nur von Schöneberg oder Wilmersdorf – aber er kommt doch vom Lande und bringt uns die gute Milch –, und dem ersten folgt der zweite, und dem zweiten der dritte; und wo sie halten in der Nachbarschaft, diese traulichen Gespanne mit dem mageren Pferdchen und den blechernen Kannen, da wird es lebendig, da geht es hinein und heraus, da wird Feuer angezündet auf dem Herde, da steigt Rauch aus den Schornsteinen, und da fangen die Kaffeemühlen an zu klappern ... Nein, nein, ich bin keiner von denen, die das Leben unerträglich und den folgenden Tag noch langweiliger finden als den vorhergegangenen; ich, im Gegenteil, finde, daß jeder neue Tag die Verheißung von etwas Besserem in sich trägt und daß das Alltägliche das Beste von allem ist; und solange noch der Milchmann und der Milchwagen kommen, bin ich zufrieden.
    Jetzt ist sieben Uhr nicht fern; der Wintertag in Berlin beginnt, und seine Boten sind geschäftig, die uns unserleibliches und unser geistiges Brot bringen, die für uns sorgen, die geräuschlos ihre Arbeit tun, halb noch unter dem Schleier der Nacht, damit alles hübsch in der Reihe sei, wenn wir aufstehen. Aber ich muß mich eilen, wenn ich sie noch erblicken will. Denn diese frühen Leute sind pünktliche Leute; sie lassen nicht auf sich warten, aber sie warten auch nicht, und den Tag wollt ich nicht loben, wo wir nicht, jeder von uns den andern, zu genau derselben Zeit an genau derselben Stelle träfen. Der erste von ihnen ist fast eine mythische Figur, nur sichtbar im Zwielicht, wenn die Nächte am längsten und die Tage am kürzesten sind. Dann sehe ich ihn wohl über den Platz schreiten, den Laternenmann, und phlegmatisch eine Flamme nach der andren auslöschen, die schläfrig sind wie vom langen Brennen; und im Halbdunkel mit seinen hohen Häusern und schneebedeckten Dächern liegt dann dieser kleine Ausschnitt der Welt vor mir. Aber im Morgengrau, wie wohl tut diese erste Spur der Helligkeit, die dem Anbruch des Tages vorausgeht – des wirklichen Tages, der unsre Kraft aufs neue herausfordert und uns die Welt gleichsam zum zweiten Male schenkt; und wie köstlich ist der Anhauch der frischen, herben Winterluft, wenn er, Lebenslust und Freudigkeit weckend, uns zuerst entgegenweht und mit all diesen Zeichen und Verkündigungen rings um uns her eine Stimme wie die des Predigers in uns spricht: »Es ist das Licht süße und lieblich die Sonne zu sehen« ... »Morjen, Morjen!« schallt es hinüber und herüber. Eine eigene Population bewegt sich in der kleinen Straße. Es ist der Bäckerjunge, der mit dem hohen Korb auf den Schultern daherkommt, und die Zeitungsfrau, welcher ein nicht minder gefüllter Korb am Arme hängt. Der Bäckerjunge trägt schwer an dem Ernste seines Berufs; er unterscheidet sich von allen andern Jünglingen dieser Stadt. Er pfeift nicht, er treibt keinen Unfug –nichts reizt weder seine Neugier noch seinen Mutwillen, und sein einziges Vergnügen scheint darin zu bestehen, daß er mitten durch die Sperlingsschar geht, welche jetzt, am Tische des Überflusses schwelgend, sich auf einem leeren Droschkenstande niedergelassen hat und die verstreuten Körner aufpickt. Aber die Berliner Sperlinge haben nichts von der Ursprünglichkeit ihrer Natur eingebüßt; sie sind die frechsten, die man sich denken kann, und tun dem Bäckerjungen nicht einmal den Gefallen fortzufliegen. Denn sie kennen seine Gemütsart. Die Zeitungsfrau dagegen ist ein muntres Wesen in gesetzten Jahren, und mit einer Art mütterlichen Wohlgefallens sieht sie auf ihren jungen Freund herab, wenn er ihr, in der mehlbestaubten Kappe und mit dem Geruche frischen Backwerks vor sich her, an den Türen begegnet. Friedlich in ihrem Tragkorb, wie gute Kameraden, schlummern nebeneinander Regierung und Opposition, Freisinn und Reaktion, Kulturkampf und Sozialdemokratie; und mit derselben Liebe trägt sie dies alles umher und schützt es sogar, wenn es regnet oder schneit, mit einem Zipfel ihres braunen Umschlagetuches. Sie hat etwas Mütterliches, wie gesagt, und ist eine Philosophin obendrein. Man muß sie beobachtet haben, wie sie die Hintertreppen hinauf- und heruntersteigt und ihre Blätter vor die verschlossenen Türen wirft – mit einem

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