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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Droschke zweiter Klasse haben können. Endlich, endlich fliegt der Schlag auf und wieder zu, das Fuhrwerk setzt sich in Bewegung, verliert sich, ich weiß nicht in welcher Richtung, und nun ist es eine Weile still – so still, daß ich das Ticken meiner Wanduhr vom Gange her deutlich vernehmen kann. Trauter Klang – Musik aus der Kinderzeit! Diese Uhr ist so alt – so alt, wie ich denken kann. Sie stand im Elternhaus auf dem Treppenabsatz; ich habe ihr Ticktack schon als Knabe gehört, genau so, wie ich es jetzt höre, hier, in der Winternacht, in Berlin. Ah, wenn sie sprechen wollte, wieviel könnte sie verraten – wieviel erzählen von Dingen, die nur sie gesehen – von schlaflos stürmischen Nächten des Frühlings und der Jugend; von Sommernächten voll vom Rauschen des einsamen Mühlbachs, voll von Düften des Jasmins, voll von leisen Gesängen! ... Aber es ist gut, daß ich es jetzt allein bin, der ihre Sprache noch versteht.
    Und sie beschämt noch, in ihren alten Tagen, den Kirchturm auf dem Platze, der so viel jünger ist. Denn dieser, mit seiner großen Uhr und seinen vier Zifferblättern, ist ein recht unzuverlässiger Gesell – ich will nichts gegen ihn sagen, beileibe nicht, denn auch ihn habe ich sehr lieb, ich könnte nicht ohne ihn leben, und er würde mir sehr fehlen, besonders in den Nächten, wenn er einmal ganz schwiege – was er übrigens, bei plötzlichem Witterungswechsel, auch manchmal tut. Mag die Turmuhr falsch schlagen, wenn sie nur schlägt! Sie ist für mich die Stimme der Nacht, wobei ich freilich – um der Wahrheit die Ehre zu geben – nicht verschweigen darf, daß sie bei Tage manches Unheil anrichtet. Keiner traut ihr, und alle berufen sich auf sie – der Barbier, wenn er zu spät kommt, die Köchin, wenn sie mit dem Mittagessen nicht fertig wird, das Hausmädchen, wenn sie sonntags von ihrem Ausgang nicht zeitigzurück ist. Aber laßt sie, wir haben alle unsere Fehler – Menschen und Kirchtürme; wir müssen Nachsicht miteinander üben, und darüber schlaf ich in Frieden wieder ein – schlafe, schlafe, bis mich etwas weckt wie der Schlußakkord einer verhallenden Melodie, die sich seltsam mit dem Traumzustand des Erwachens zu vermischen scheint – wahrhaftig, es ist der Kirchturm, von welchem es dreiviertel schlägt! Dreiviertel! Wenn man nur wüßte, was folgen wird! Es ist noch dunkel. Nur ein Schimmer der Gaslaternen stiehlt sich von unten herauf durch die freigelassene Ritze der Jalousien und wirft einen zitternden Lichtstreif an die gegenüberstehende Wand. Ganz vereinzelt und sehr weit entfernt läßt sich das Rollen eines Wagens vernehmen – ist es der letzte der späten Gesellschaften, ist es der erste der frühen Arbeit –, ist dies der Moment, wo das Ende der Nacht und der Anfang des Tages in Berlin einander begegnen? Noch bevor ich die Frage mir beantwortet, bin ich wieder eingeschlafen, und wenn ich, nach einem gesunden und festen Schlaf, in dem mich nichts mehr stört, wieder erwache, schlägt es abermals; und jetzt, auch wenn ich die Schläge nicht zählte, würde ich wissen, daß es sechs Uhr ist – sechs Uhr früh. Denn diese Stunde hat ein ganz eigenes Kolorit des Tones, das sie von allen anderen Stunden des Tages und auch der Nacht unterscheidet. Es ist nicht mehr der vereinzelte Stoß oder Laut, der durch die Stille dringt: Es ist das Erwachen der Hauptstadt, das ich in tausend Zeichen aus der Entfernung vernehme, die Wiederkehr des allgemeinen Lebens, das auch das meine weckt und in Spannung setzt. Diese Stunde möcht ich, könnt ich nicht verschlafen: Es ist, als rausche die Flut näher und näher heran, bis der Augenblick kommt, wo auch ich mich wieder hineinstürzen darf. Oh, diese Verkünder des neuen Tages, mit allem, was er Unbekanntes, Unvorhergesehenes, Überraschendesin sich bergen mag – wie ich sie liebe! Da ist wieder der Pfiff der Lokomotive – jedoch so viel heller, freudiger, hoffnungsreicher; wer weiß, welchen glücklichen Menschen sie heute zur Heimat, zu den Eltern, zur Braut, zur Geliebten bringen wird! Ah, so jung zu sein, wie er – wie er, klopfenden Herzens, dem schnellen Zuge noch vorauszufliegen durch die Winterlandschaft, zum ersehnten Ziele hin ... Und immer neue Laute, nicht mehr in weiten Zwischenräumen auftauchend und wieder dahinsterbend, nein, mit scharfem Akzent einsetzend in die wachsende Bewegung, die von allen Seiten zur Stadt drängt, in ihre Straßen und auf ihre Märkte; und nun auf einmal ein leichtes

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