Bilder Aus Dem Berliner Leben
Bilde zu zeigen: Ich meine die Meyerschen Familienhäuser, welche den Platz einnehmen, wo früher die Baracken des Vogtlandes gestanden haben. Auch damals gab es hier schon »Familienhäuser«. Aber wie es darin ausgesehen, das ist in dem Buche Bettinasvon Arnim beschrieben: »Am leichtesten übersieht man einen Teil der Armengesellschaft in den sogenannten Familienhäusern. Sie sind in viele kleine Stuben abgeteilt, von welchen jede einer Familie zum Erwerb, zum Schlafen und Küche dient. In 400 Gemächern wohnen 2500 Menschen ... Der Vater webet zu Bett und Hemden und Hosen und Jacke das Zeug und wirkt Strümpfe, doch hat er selber kein Hemd. Barfuß geht er und in Lumpen gehüllt. Die Kinder gehen nackt, sie wärmen sich eines am andern auf dem Lager von Stroh und zittern vor Frost... Kreuzweis wird durch die Stube ein Seil gespannt, in jeder Ecke haust eine Familie; wo die Seile sich kreuzen, steht ein Bett für den noch Ärmeren, den sie gemeinschaftlich pflegen ...« Wenn man mit solchen Zuständen die gegenwärtigen Familienhäuser vergleicht, dann begreift man, welche Fortschritte wir seitdem gemacht haben. Kolossal in ihrem Umfange, geben sie dem Verhältnis sichtbaren Ausdruck, in welchem mit sparsamster Ausnutzung des vorhandenen Raumes zugleich für das häusliche Wohlbefinden und die sanitäre Zukömmlichkeit großer, dicht zusammen wohnender Menschenmengen gesorgt werden kann. Dem Erbauer oder Begründer mag das Beispiel der Peabody-Buildings in London vorgeschwebt haben, soweit System und Einrichtung in Frage kommen. Denn von Wohltätigkeit ist hier keine Rede; diese Familienhäuser sind Mietshäuser mit etwa fünfhundert Einwohnern. Sie gleichen einer kleinen Stadt, wimmelnd von Menschen und mit jeder Art von Hantierung. Die Front des Hauptgebäudes mit zwei mächtigen Portalen flankiert die Ackerstraße; dahinter öffnen sich fünf Höfe, jeder mit zwei vierstöckigen Quergebäuden, durch welche ein gewölbter Durchgang führt, mit zwei Seiteneingängen für die Häuser selbst. In den Höfen herrscht das Leben einer Straße; Kinder spielen fröhlich umher, Werkstätten vonjeglicher Beschaffenheit sind in vollem Betrieb, und Frauen, welche Grünkram und Obst feilhalten, sitzen an den Ecken. Den Hintergrund des letzten Hofes bildet eine Badeanstalt mit einer großen Uhr, welche die Zeit in diesem Gebäudekomplex regelt, und vorn, am Straßenportal, hängt eine fast die ganze Wand bedeckende Tafel mit den Namen der Einwohner, daneben allerlei sonstige Benachrichtigungen über die nächste Postexpedition, die nächste Polizeistation und so weiter und das Hausreglement. Ich muß sagen, daß dies alles einen guten Eindruck machte, wie ich bei Zwielicht die Höfe durchschritt, in welchen so viele Hunderte dicht zusammen leben und dennoch einander nicht im Wege sind. Die Luft in den angemessen geräumigen Höfen war nicht schlecht, und als ich sie verließ, fingen eben die Gaslaternen an, ihr reichliches Licht in denselben zu verbreiten.
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»Von hier, vom unheimlichen Vogtland, der damaligen Höhle des Pauperismus«, erzählt Gutzkow in seinem Buch »Aus der Knabenzeit«, »zogen sich einsame, endlos scheinende Sandflächen bis nach Tegel hin ... Da lag der Gesundbrunnen und eine Saharawüste, die man den Wedding nennt und auf dessen tief im Sande angelegten Laufgräben, Schanzen, kleinen Belagerungsforts die Artillerie zu exerzieren pflegte.«
Sehen wir uns heute diese Gegend an. – Was ihr die Signatur gibt, das sind die großen Fabriken; sie voran, die Borsigsche und nebenan die Eggelssche, die Schule unsrer großen Maschinenbauer aus den dreißiger Jahren des Jahrhunderts, aus welcher auch Borsig hervorging. Es sind dies nebst der inzwischen eingegangenen Freundschen die ältesten unserer Fabriken; diejenigen, in welchen die jetzt so hochentwickelte Maschinenbau- und Eisenindustrie von Berlin ihren Anfang nahm. EinWald von Schornsteinen dehnt sich dahinter aus und wird immer dichter, je mehr dem Norden zu. Denn die Richtung der Zeit geht in diese noch wenig bebauten Lagen, wo Grund und Boden billiger und die Kohlen und das Eisen, durch die dorthin führenden Bahnen, näher sind. Aber immer noch ist die Borsigsche Maschinenbau-Anstalt, da, wo ehemals das Oranienburger Tor war, gleich am Eingang der Chausseestraße, mit ihrem Turm, ihren Arkaden und den Emblemen und Figuren der Arbeit über ihrem Portal, das Wahrzeichen dieser Gegend – weithin sichtbar, wenn man die Friedrichstraße
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