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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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heraufkommt. Die Eggelssche Anstalt ist unterdessen schon verschwunden; aber auch die Borsigsche hat dem Druck der ungünstigen Konjunkturen nicht länger zu widerstehen vermocht. Als ich zum letzten Male, in der Mittagsstunde, vor dem Eingangstore stand, strömten nicht mehr die Scharen der Arbeiter heraus wie sonst, nur noch einzeln kam ein Mann oder eine Frau; stille geworden war es an dieser Stätte vormals so gewaltiger menschlicher Tätigkeit, und nicht lange mehr, so werden auch hier die Feuer erloschen, wird das ganze Terrain mit Häusern und Hinterhäusern dicht bedeckt und der Name der Borsigstraße alles sein, was an eine für die Entwicklung der Industrie in Berlin so wichtige Epoche erinnert. (Anmerkung vom 4. Februar 1887).
    Es ist ein wunderlieblicher Sonntagsmorgen im Juni – der erste Juni, der erste Pfingsttag.
    Heute hat die Chausseestraße ein sonntägliches Aussehen, und nur hier und dort über einem Schornstein kräuselt noch ein leichtes Wölkchen in die wolkenlose, blaue Luft. In den tiefen Höfen, wo die Berge von Steinkohlen lagern, ist alles still, und in den Vorgärten, wo selbst hier, zwischen Rauch und Ruß und Zink- und Eisenguß, der Frühling emporgekommen ist, flimmert das junge Laub in der Sonne, vermischt mit Flieder, dieser holden, genügsamen Blüte, die den Boden von Berlin liebt und um diese Zeit des Jahres ihren Duft durch alle Straßen sendet.
    Auch der Pferdebahnwagen, in dem ich fahre, hatheut ein anderes Aussehen und ein anderes Publikum als gewöhnlich. Nicht nur festtäglich sind die Leute gekleidet, es liegt auch in ihrem Benehmen etwas Ruhiges und Feierliches, was gegen den Wochentagslärm und Geschäftshabitus, der hier sonst gemeiniglich herrscht, sehr wohltuend absticht. Bejahrte Männer oder Frauen, von ihren Töchtern liebevoll unterstützt, kommen in den Wagen; viele haben Blumen in der Hand, mehrere noch das schöngebundene, wohlerhaltene Gesangbuch.
    Am Ende der Fahrt, aus der Häusermasse, ragt plötzlich der Turm einer neuen Kirche empor, der Dankeskirche auf dem Weddingplatz.
    Hier war einst ein weites, von der Panke bewässertes, mit Weidengebüsch umgebenes Heideland, von den Umwohnern das Weidicht, Wedding und in den alten Urkunden »up dem Wedig« genannt. Noch im 13. Jahrhundert stand hier ein Dorf, von welchem aber nichts geblieben als ein Hof oder eine Meierei, ein sogenanntes Vorwerk, welches an der heutigen Reinickendorfer Straße lag und lang im Besitz der Krone war. Unter dem Großen Kurfürsten ward es von seiner Gemahlin, der wirtschaftlichen Dorothea, als Schäferei benützt, unter Friedrich dem Großen aber in Erbpacht gegeben, während zugleich der Anbau des umliegenden, in Parzellen ausgeteilten Heidelandes begann. Indessen ging es langsam damit vorwärts. Ältere Berliner mögen sich der endlosen Chaussee wohl noch erinnern, auf der sie wenigstens einmal im Sommer nach Tegel hinausfuhren. Es war kein großes Vergnügen auf der staubigen Landstraße, immer in der Sonne, bis das schattige Grün des Dörfleins und Parkes erreicht war. Aber der Berliner war es damals nicht besser gewöhnt. Die Chaussee führte mitten durch den Wedding und gab uns, die sonst niemals hierhergekommen wären, Gelegenheit, diese Gegend in ihrem fast noch ursprünglichen Zustande zu sehen.Als zu Beginn des Jahrhunderts diese »Kunststraße« angelegt ward, da waren auf der ganzen Strecke von der Panke ab vier Wohnhäuser und außerdem nur Windmühlen, welche damals wie jetzt, immer weiter hinausgedrängt, das Ende von Berlin bezeichneten. Nach diesen Mühlen ward die Straße später genannt, Müllerstraße, heute wohlgepflastert, mit zwei Pferdebahnen und mit Häusern auf beiden Seiten, wenn auch noch in zuweilen ziemlich weiten Abständen. Im Jahre 1801 aber, als die Stadt den größeren Teil des Wedding erwarb, während der sogenannte »kleine Wedding« noch in Privatbesitz blieb, zählte das ganze Gebiet nicht mehr als 150 Bewohner; und es bestand aus Sandwüsten, Sümpfen, Luchen und Fennen, hin und wieder von einem Stück spärlicher Fichtenwaldung unterbrochen. Um es urbar zu machen, verpachtete der Magistrat die Ländereien in größeren und kleineren Parzellen an sogenannte »Kolonisten«, die ihre Arbeit vortrefflich taten. Auch der Wedding, wie so mancher andere Stadtteil des gegenwärtigen Berlins, der heut in voller Herrlichkeit prangt, war, wie dieses ganze Berlin, einst aus solch unscheinbaren Anfängen hervorgegangen; nur daß dieser jüngste von

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