Bilder Aus Dem Berliner Leben
demvorstehenden Kinn. Das Ölgemälde gibt uns den jüngeren Mann, das volle Haar und Bärtchen sind tiefdunkel, die braunen Augen haben einen lichten Glanz, und das ganze Gesicht hat die Farbe der Reife; hier ist der Mund geschlossen, und die Lippen sind aufgeworfen. – »Der klarste und heiterste Kopf, den ich beinah auf einem menschlichen Rumpfe gesehen«, wie Herder es gesagt; und dennoch liegt etwas Wehmütiges in diesem Antlitz, was Herder nicht gesehen, und wenn er es gesehen, vielleicht nicht verstanden hat ...
Nicht weit von diesem Bilde Mendelssohns, in einem andren Saale der historischen Abteilung, hing das seines Enkels, das Porträt Felix Mendelssohn-Bartholdys. Sind die Züge des einen in denen des anderen wiederzuerkennen? Sie sind feiner, die Formen zierlicher, spiritueller, wenn ich so sagen darf, sowohl Mund und Nase; doch das Feuer des geistvoll sprühenden Auges und die breite, schön gewölbte Stirn sind die des Großvaters. Aber welch ein weiter Weg zwischen diesem Moses, der das gelobte Land nur von ferne sah, und jenem Felix, der es betreten! Welch ein Weg von dem kleinen Haus in der Spandauer zu dem palastartigen in der Leipziger Straße Nr. 3, in welchem Felix Mendelssohn-Bartholdy seine beneidenswerte Jugend verlebte. Noch immer, aber nur in Mondscheinmitternächten, wenn das elektrische Licht der Leipziger Straße verglimmt ist, klingt und singt es um dieses Haus und diesen Garten, unter dessen Bäumen Felix Mendelssohn-Bartholdy die Ouvertüre zum Sommernachtstraum komponiert hat und in welchem eine alte Eibe steht, der älteste Baum in Berlin – und dann kommen Puck und die Elfen, Oberon und Titania wohl noch einmal, um die lieben Stätten zu besuchen, und rings um die alte Eibe herum beginnt der Ringelreihn, und in jenen unendlich süßen, neckischen Zaubertönen schallt es weit hinaus in die Stille:
Bunte Schlangen, zweigezüngt!
Igel, Molche, fort von hier!
Und ein zweiter Elfe fällt ein:
Schwarzer Käfer, uns umgebt
Nicht mit Summen! Macht Euch fort!
Spinnen, die ihr künstlich webt,
Webt an einem andern Ort.
Was hilft euch, arme Kinder der Luft, ihr Libellen der Nacht, die grausige, noch dazu sehr anzügliche Beschwörungsformel? Ihr werdet hier nie wieder eine Heimat finden in diesem Haus und Garten, vordem euer Eigentum, und ein Glück noch, daß der dicke Portier schläft, der sonst immer in der goldverbrämten Livree vor der Türe Wache hält. Der würde euch schön jagen mit eurem Gesang! Denn daß ihr's nur wißt, ihr Elfen, dieser euer alter Aufenthalt ist jetzt das Hohe Herrenhaus, Seit 1852, in welchem Jahre das ehemalige Sitzungsgebäude des Herrenhauses in der Oberwallstraße abbrannte. in welchem am 13. April 1886 durch Annahme der Koppschen Amendements der Kulturkampf geschlossen ward. Ihr schüttelt euch, ihr wendet euch ab. Glaubt aber nicht, ihr Elfen, daß es mir um den Kulturkampf leid sei; fürwahr ich bin froh, daß wieder Frieden auf Erden ist und den Menschen ein Wohlgefallen. Aber euer muß ich gedenken, sooft ich dieses Haus sehe; und euer hab ich auch gedacht an jenem 15. Juli des Jahres 1870, als hier, vor versammeltem Norddeutschen Reichstag, Bismarck mit leiser, aber fester Stimme die Kriegserklärung gegen Frankreich verlas. Und nun flieht, ihr Elfen, flieht, flieht! Für euch ist wirklich kein Platz mehr in Berlin.
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Noch immer, wenn man durch die Nebengassen der Spandauer Straße, namentlich aber durch den Teil derKlosterstraße geht, welcher bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts das »Geckhol« hieß, wird man, wie sonst nirgends in Berlin, ein Überwiegen des jüdischen Elementes gewahr. Hier herum wohnten die Juden, als sie zuerst wieder ein Heim fanden in Berlin. Das Geckhol war nicht ganz das Paradies, aber es war auch nicht mehr das Ghetto. Von hier aus verbreiteten sie sich in die angrenzenden Straßen und gaben ihnen den Charakter, den sie bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Gestalten begegnen noch da wie aus einer vergangenen Zeit, Greise mit gefurchtem Angesicht und tief herabhängendem, weißem, zweizipfligem Bart, mit kaftanartigem Gewand und schwarzem Käppchen unter dem abgetragenen Hut; aber auch gesetzte Männer in guten Tuchröcken und behaglichen Verhältnissen, feine Köpfe, denen man es ansieht, daß sie sich nicht nur auf den Talmud, sondern ebensowohl auf ihr Geschäft verstehen, und ein junger Nachwuchs, das Erbe der Alten mit einem gewissen neu hinzugekommenen Zuge verbindend, der, von allem, was
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