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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Monsieur Birikos zusammen, der unvermittelt wieder zurückgekommen war.
    „Entschuldigen Sie“, sagte er. „Habe ich meine Handschuhe vergessen?“
    Er ließ einen geschärften Blick herumwandern. Ich ebenfalls. Keine Handschuhe zu sehen. Er rief aus:
    „Ach ja! Die Enttäuschung mit Ihnen hat bei mir wohl diese Zerstreutheit hervorgerufen! Ich... ich habe sie in meine Tasche gesteckt.“
    Er schwenkte die wiedergefundenen Handschuhe und streifte sie über. So würde er sie nicht verlieren. Er grüßte uns mit der ihm eigenen Förmlichkeit und haute diesmal tatsächlich ab.
    Ich ging zum Fenster, öffnete es und schaute hinaus.
    Monsieur Nicolas Birikos stand auf dem Gehsteig, unbeweglich, angerempelt von den eiligen Passanten, jedoch gleichgültig gegenüber allem, was um ihn herum vorging. Er durchsuchte, jetzt wieder ohne Handschuhe, sorgfältig seine Taschen, besorgt, sehr besorgt. Er zog seine Brieftasche aus der Innenseite seines Mantels, überprüfte aufmerksam deren Inhalt, steckte sie wieder ein, suchte weiter. Schließlich ging er weg, mürrisch, unzufrieden.
    „Was hat er denn noch?“ fragte Hélène. „Hat er wieder seine Handschuhe verloren?“
    „Nein, aber dieses Schriftstück.“
    Ich holte das Papier des Griechen aus meiner Tasche. Es war ein ganz gewöhnliches Stück Papier, nichts Besonderes, irgendwo abgerissen. Ein Wort stand darauf: Mégisserie.
    „Was ist das?“ fragte Hélène.
    „Der Teil einer Adresse. Bestimmt Quai de la Mégisserie. Diese Ausländer können Paris noch so gut kennen, manchmal brauchen sie eine Gedächtnisstütze. Es schien ihm wichtig zu sein, oder?“
    „Sehr...“
    Hélène schnitt eine Grimasse: „...Er sieht nicht gerade so aus, als verkehre er im literarischen Salon von Madame Sophie Stambat.“
    Sie kennt sich bei der Prominenz von Paris aus, meine Sekretärin.
    „Man kann nie wissen! Habe ich denn die Visage eines Gemäldediebs?“
    „Nun... äh...“
    „Jaja. Gut, leihen Sie mir tausend Francs. Ich wette, daß dieser Bikini-Rose mich für einen Komplizen von Larpent hält...“
    „Na, hören Sie mal...“
    „Genauso ist es.“
    „Das würde Ihrem Ruf schaden.“
    „Dem kann nichts mehr schaden... Apropos Wetten: Wir müssen einem Freund des Turfs auf die Finger sehen. Sie werden sich darum kümmern. Er ist beim Hôtel des Provinces in der Rue de Valois angestellt. Heißt Albert. Freie Wohnung, Kost und Wäsche. Er bewegt sich nicht von dort weg, außer um auf den Rennplatz zu gehen. Verkleiden Sie sich als Scheinheilige, nehmen Sie dort eine Bude und bleiben Sie dem Springer hart auf den Fersen. Irgendetwas an seinem Verhalten stimmt nicht. Versuchen Sie herauszukriegen, was mit ihm los ist.“
    „Rue de Valois? Steigt dort nicht Louis Lheureux jedes Jahr ab?“
    „Ja.“
    „Hm...“
    Mehr sagte sie nicht. Sie öffnete einen Schrank und nahm einen gewöhnlichen Koffer heraus, ein Reiseutensil für ein braves junges Mädchen.
    „Und wir meinten, das wäre ein ganz ruhiger Kunde“, sagte sie komplizenhaft.
    „Ganz ruhig!“ lachte ich als Echo, den Blick zur Decke gerichtet.
    Die Nacht war hereingebrochen, und es war kalt geworden. Ein Wetter, das der Jahreszeit entsprach. Es gab nichts mehr zu sagen. Die Rue des Petits-Champs lag ruhig da wie ein Friedhof.
    „Ganz ruhig!“ wiederholte ich laut in die Stille meines Büros.
    Ich war alleine in dem Zimmer, das mir plötzlich riesengroß vorkam. Der elektrische Heizkörper war angestellt und umgab mich mit milder Wärme. Es war ein altes Modell. Ich konnte die geröteten Heizfäden sehen. Sie schienen im Schatten der Möbel auf der Lauer zu liegen. Die Pendeluhr auf dem Kamin zerhackte melancholisch die Zeit. Die Lampe mit dem großen Schirm warf einen Lichtkegel auf die saubere Schreibunterlage. Meine Hände spielten mit einer Visitenkarte und einem Fetzen Papier. Ich dachte nach, die Pfeife im Mund. Im kleinen Wartezimmer nebenan knackte ein Möbelstück. Zwei Stockwerke tiefer ging ein Zeitungsverkäufer vorbei und schrie:
    „Crépuscule, neueste Ausgabe... Der neueste Crépu Er entfernte sich oder ging auf einen Schluck ins Bistro an der Ecke. Wieder Stille, unterbrochen von dem Ticktack der Pendeluhr und dem Blubbern meiner Pfeife. Ich machte mich ans Reinigen der Pfeife. Plötzlich stießen beinahe zwei Autos auf der Straßenkreuzung zusammen. Bremsen quietschten, daß mir die Haare zu Berge standen. Zornige Stimmen drangen laut durch die Fensterläden und die geschlossenen Scheiben an

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