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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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unter meine Achselhöhlen und zog mich unter eine Brücke.
    „Besuch für dich, Baronässe. Ein ganz feiner Pinkel. Einer von den oberen Zehntausend. Ist aus seiner Karre geflogen oder rausgeschmissen worden...“
    „War’n Schlag mit dem Knüppel“, brachte ich mühsam hervor.
    „Vielleicht beides“, sagte der Clochard. „Du hast dir vielleicht ’n Schlag mit ’nem Knüppel gefangen, aber ich hab die Karre genau gesehen, und ich hab auch genau gesehen, wie du rausgeflogen bist.“
    „Nächtlicher Überfall“, sagte eine Frauenstimme, heiser, zerbrochen in tausend Stücke, alterslos und auch beinahe geschlechtslos. „Wir werden mit dem da nur verdammte Scherereien kriegen.“
    „Nein, nein“, flehte ich. „Keine Scherereien mit mir.“ Scherereien, das war ausschließlich Nestor Burmas Gebiet. Ich hütete es eifersüchtig und würde es mit niemandem teilen.
    „Das ist mein Kumpel“, sagte der Clochard. „Hab ihm das Leben gerettet. Er wird’s nicht vergessen. Wird mit ’ner Belohnung rausrücken.“
    Ich spürte, daß er anfing, mich zu filzen. Ich ließ es geschehen. Es war heute Nacht nicht das erste Mal, daß ich gefilzt wurde. Es war sogar schon das dritte, wenn sich meine schmerzende Rübe noch richtig erinnerte. Es hatte bei einem Vogelhändler angefangen. Zu jenem Zeitpunkt wußte ich nicht, daß ich bei einem Vogelhändler war. Eine tolle Idee hatte ich da gehabt, am Quai de la Mégisserie etwas frische Luft zu schnappen. Dort bekam ich dann den ersten Schlag mit dem Knüppel. Ich wäre besser ins Café gegangen. Es gab nur wenige Spaziergänger an den Quais, aber einer war zuviel: der mich in Höhe der Rue Bertin-Poirée in die Radieschen geschickt hatte. (Ich erinnerte mich an die Stelle; das war schon ’mal was.) Als ich wenig (oder viel) später aus dem Tran erwacht war, fragte ich mich immer noch, wie das passieren konnte. Offensichtlich hatte ich nichts Besseres zu tun gehabt... Obwohl ich halbtot war, hatte ich das Gefühl, als durchsuchte man mir die Taschen...
    „Was fummelst du denn da?“ fragte die Clocharde.
    „Gibt vielleicht ’ne Adresse, die man benachrichtigen soll“, antwortete der Clochard.
    „Stell dich nicht so blöd, Bébert. Du kannst doch gar nicht lesen. Klau dem Jungen nichts...“
    Ich streckte meine Glieder aus. Es tat gut, sich recken zu können. Auch wenn es etwas weh tat und es hier unter der Brücke ungastlich war, zwar geschützt vor dem Nieselregen, aber nicht vor dem Zugwind.
    Als ich zum ersten Mal wieder zu mir gekommen war, waren mir Handgelenke, Arme, Beine und Knöchel gefesselt gewesen, und es war genauso schwer, sich von diesen Stricken zu befreien, wie von meinem Finanzamt eine Fristverlängerung zu bekommen. Ich versuchte es erst gar nicht. (Beim Finanzamt schon.) Ich befand mich an einem komischen Ort. Dunkel, voller Leben. Seltsam. Überall huschende Bewegungen. Ein nicht sehr warmer Ort, an dem es nach Kleie, Mais oder ähnlichem Getreide roch. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte pfeifen, und da merkte ich, daß ich außerdem geknebelt war. Und ich hatte wohl auch noch eine Binde vor den Augen. Ich rollte mich herum und stieß gegen irgendetwas, wodurch ich einen ohrenbetäubenden Lärm (jedenfalls erschien er mir ohrenbetäubend!) von Flügelschlagen verursachte. Nun, ein Kanarienvogel hatte die Stille durch wütendes Rollen zerrissen, und eine Ringeltaube hatte gegurrt. Ich war bei einem Vogelhändler, und der hübsche Vogel, das Täubchen, war ich, und ich war im Käfig, wie alle.
    „Bring ihn mit einem Glas Roten wieder auf die Beine,“ riet die Chlocharde, „aber dalli!“
    „Das ist mein Kumpel“, sagte der Clochard.
    Er riß ein Streichholz an.
    Der Lärm, den die aufgescheuchten Vögel gemacht hatten, hatte niemand angelockt. Erst viel später war ein Mann gekommen, ein Mann, den ich wegen meiner Augenbinde nicht gesehen, den ich nur gespürt hatte, ein nervöser, aufgeregter Mann. Er hatte wieder meine Taschen durchwühlt mich dann hingestellt und... und dann... nichts mehr... Das war der zweite Schlag des Abends gewesen. Dann hatte ich mich auf der Uferböschung wiedergefunden, aufgeschnürt, zum Fluß hinkriechend in der Gefahr, mich hineinzustürzen, aus einem Wagen geworfen, wie der Clochard sagte. Ich mußte wohl geträumt haben. Nichts von all dem reimte sich zusammen. Man hatte mich überfallen, niedergeknüppelt, gefesselt, mit Vögeln alleingelassen, dann wieder in Umlauf gebracht. Man hatte mir keine Fragen

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