Bilder von A.
wußte er nicht mehr, wo er hin sollte. Er hatte noch eine Freundin in Berlin. Sie spielte gerade Klavier. Einmal sagte er, daß es zum Erschießen schön sei. Die Frau hatte Kreps und die Frau hat ein Mann gehabt. Die Freundin sagte, sie hälte es nicht mehr aus, er sagte, er hälte es auch nicht mehr aus.
Sie fuhren zum Wannsee und nahmen zu essen und zwei Pistolen mit. Dann aßen sie tüchtig.
Zuerst erschoß er sie, dann erschoß er sich selbst. Sie brachen sich um.
Nach dem Tod des Dichters f and man seine Gedichte und Theaterstücke, er wurde berühmt und beliebt. Seine Theaterstücke spielen wir heute noch. Erst später merkte man, wie wichtig alles war.
Viola Schmidt, Klasse 5b
Die Aufführungen des Kinder-Kleist-Stücks und des »Konzerts« Dichter in Preußen fanden aber leider nur ein einziges Mal statt. A. hatte mir die Arbeit daran zum großen Teil allein überlassen, vielleicht aus Großzügigkeit oder einfach aus eigener Überforderung, vielleicht spielten wir auch ein bißchen Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann oder Walter Benjamin und Asja Lacis, deren Moskauer Kindertheater-Experimente und Liebesverhältnisse uns offensichtlich inspirierten.
Beide Aufführungen im Spiegelfoyer des Berliner Theaters wurden nach der ersten Vorstellung vom Intendanten abgesetzt, das heißt, verboten. Das Publikum hatte unsere Botschaft wohl zu deutlich verstanden und bei den entsprechenden subversiven »Stellen« heftig Beifall geklatscht. Es handelte sich mithin um eine »staatsfeindliche Angelegenheit«, und die Gefahr bestand, daß noch mehr »negative Elemente« im Publikum die Gelegenheit wahrnehmen könnten, die Theateraufführung in eine öffentliche Kundgebung zu verwandeln. Und die Idee eines Kinder-Kleist-Stücks war ja sowieso völlig absurd, denn wenn schon Kleist, dann klassisch und nicht so was Verdrehtes, was soll der Quatsch?
Ich wußte gar nicht, wie ich das den Kindern beibringen sollte, ich war so enttäuscht wie sie und konnte zum Trost nur Fotos verteilen, die der Theaterfotograf während der Generalprobe gemacht hatte. Nun fuhren sie wieder Rollschuh auf dem Theatervorplatz und verwarteten die Zeit, bis ihre Eltern von der Arbeit zurückkehrten.
A. hatte währenddessen auf der Hauptbühne den Prinz von Homburg und Der zerbrochene Krug inszeniert , und zwarin rasendem Tempo. Er war auch selbst dabei in höchster Aufregung, rannte und sprang auf die Bühne hoch und wieder runter, tigerte durch die Sitzreihen, sprach den Text mit, schrie, manchmal flüsterte er auch nur, stöhnte oder lachte, fuchtelte wild und schmiß alles Festgelegte wieder um: »Fangen wir noch einmal ganz von vorne an!«, ließ repetieren, »so-so! verstehst du!« »Soooo! Nicht so! Sooooo!« Und die Kostüme und die Technik, und dieses weglassen und jenes hinzufügen, »probiert es doch mal!« Und »mehr Licht auf die Hinterbühne, laßt die Vorderbühne im Halbdunkel!« Mehrere Versuche, helles Dunkel, dunkle Helle, in Gelb getönt, in Blau grauend, grüner Schimmer des Fehrbelliner Parks. Da wird der nachtwandelnde Prinz von Homburg sitzen:
der Held gesucht – und aufgefunden wo?
Als ein Nachtwandler, schau auf jener Bank!
Ganz am Ende des Abends der Verhandlungen, Verwechslungen und Täuschungen humpelte Richter Adam (dessen Darsteller vorher den Großen Kurfürsten gegeben hatte) auf der lichtdurchfluteten Hinterbühne durch ein dichtes Schneegestöber, um aus dem Theater oder zumindest von der Bühne zu fliehen, begleitet vom zweiten Satz aus Beethovens Fünfter, in dem das Schicksal ohne Pom-Pom-Pom-Pom, eher zärtlich seine Schläge austeilt.
Diese gigantische Theaterarbeit hatte viele Wochen gedauert, vielleicht sogar ein paar Monate, viele Monate, genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Jeden Morgen kamen wir zur Arbeitsbesprechung zusammen, A. und der Regieassistent, der Dänemark besetzt hatte, der Hauptdramaturg und ich als Dramaturgieassistentin, der Komponist, der Bühnenbildner. In meiner Erinnerung diskutierten wir dabei immer heftig, A. saß in seinem blauen Pullover mit verschränkten Armen da, und alle rauchten, nur er nicht.
Zwischen unserem ersten Gespräch, dem »informellen Vorstellungsgespräch« bei Valentin, und der Premiere muß jedenfalls viel Zeit vergangen sein, denn als wir uns auf dem dummen leeren Platz küßten und der Laster hupend vorbeifuhr, war es Herbst, und als die Kleist-Premieren stattfanden, war es Frühsommer, mitten im Mai oder Juni, die Jahreszeit, die wir
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