Bilder von A.
hineingeraten.
A.: Das ist reine Biertisch-Psychologie. Deine Lebensweise und die deiner Eltern und auch die von Mayer und Bloch unterscheiden sich doch in keiner Weise von allen anderen.
Wo ist das Jüdische denn? Zeig’s mir. Es ist doch nur der Blick der anderen, der den Juden zum Juden macht. Da hat Sartre völlig recht.
Ich: Die Un f ähigkeit zu trauern ist auch Biertisch-Psychologie? Und woher weißt du das eigentlich so genau, wie meine Eltern und deine Lehrer Mayer und Bloch leben, was sie fühlen, was sie davon zeigen und was sie lieber nicht zeigen? Ich will nicht zynisch sein, aber das ist immer noch: Wer Jude ist, bestimme ich!
A.: Im übrigen war ich während des Sechstagekrieges ganz auf Israels Seite, bis ich begriffen habe, daß dort ein antiarabischer Haß herrscht, der dem antisemitischen sehr ähnlich ist.
Ich: Warum sagst du mir das? Eben war ich noch Deutsche. Bin ich jetzt Israelin?
A.: Sie bezeichnen sich immerhin als jüdischer Staat, und du bezeichnest dich auch als Jüdin. Und du hast mir übrigens immer noch nicht erklärt, worin dein Judesein eigentlich besteht.
Ich: Das ist ja das Problem, daß ich das auch nicht genau weiß, mal abgesehen von der Verfolgungsgeschichte, und ich denke, das kann doch nicht alles sein. Aber meine Eltern, genauso wie deine jüdischen Lehrer und Bekannten, haben das Thema Judentum eigentlich immer nur beschwiegen, weil sie Marxisten und Atheisten und Kommunisten sind oder waren. Oder wenigstens so tun oder taten, als ob. Trotzdem sehen sie sich und fühlen sie sich und bezeichnen sie sich selbst als Juden, jedenfalls, wenn sie unter sich sind, und auch wenn dir das nicht gefällt.
Du liebst doch Else Lasker-Schüler, sie hat sich immer als Jüdin gefühlt und Hebräische Balladen und das Gedicht Mein Volk geschrieben, du kennst es. Und immer, immer noch der Widerhall/in mir …
A.: Willst du sagen, daß du dich dem »jüdischen Volk« zugehörig fühlst?
Ich: Ja.
A.: Du behauptest eine Trennung?
Ich: Das ist doch nur eine Feststellung. Deswegen bleibe ich trotzdem Deutsche. Deutscher Jude, das ist so etwas wie ein Paar, jeder kommt von woanders her, dann finden sie sich, dann gehören sie auch zusammen.
A.: Aber können sich wieder trennen.
Ich: Sie können wieder auseinandergehen, wenn sie sich überhaupt nicht verstehen oder der eine gewalttätig gegen den anderen wird.
A.: Wenn die Beziehung scheitert.
Ich: Sie ist gescheitert. Und heute haben die Deutschen nur noch Stereotypen von Juden im Kopf. Opfer in Auschwitz, Kolonialherren in Israel und ansonsten – Kafka, Freud, Einstein.
A.: Mich interessiert überhaupt nicht, was an Kafka, Freud, Einstein jüdisch sein sollte. Ihre Werke sind doch universell. Ich sagte schon, daß mich solche Partikularitäten abstoßen. Auch eine Pathologie, um dein Wort aufzunehmen.
Ich: Das Christentum aber stört dich als Partikularität nicht, du singst begeistert Bach-Kantaten, die immerhin sehr christlichen Inhalts sind. Mich stört es auch nicht, aber das ist eben der Unterschied zwischen Mehrheitskultur und der Kultur der Minderheit.
A.: Du kennst nicht einmal die kulturellen Dimensionen deines Judentums, kannst du vielleicht Hebräisch?
Ich: Nein, aber ich kann es ja lernen, es interessiert mich sehr. Die Bibel ist doch ein hebräisches Buch. Ich würde es gern lesen. So wie es geschrieben ist. Das Original.
A.: Willst du etwa religiös werden?
Ich: Das wäre wenigstens die einzige Art Judentum, die du mir dann nicht mehr bestreiten könntest. Ja, irgend etwas zieht mich an, die sozusagen verborgene Seitedes Judentums zu entdecken, dem »Widerhall« nachzugehen, zu hören, zu sehen, zu lesen, zu lernen. Das »religiös« zu nennen, finde ich sehr übertrieben. Abgesehen davon, daß religiös auch kein Schimpfwort ist.
A.: Wie du redest! Ich erkenne dich nicht. Wie peinlich! Ich kann dir gar nicht sagen, wie peinlich ich das alles finde.
Das ist die Disputation, die wir nie geführt haben.
Das sind Worte, die wir nie gesagt haben.
Wir haben sie uns anfallsweise, in den Momenten der Verzweiflung über das gegenseitige Nichtverstehen, entgegengeschleudert, laut oder leise, redend oder schweigend, ironisch, zynisch, traurig. In unseren Briefen, versteht sich.
Diese Worte waren das brachliegende und verminte Terrain der seltsamsten Gefühle, der sonderbarsten Anklagen, Verteidigungen, Beleidigungen.
So habe ich sie gehört.
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