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Bilder von A.

Titel: Bilder von A. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bißchen.
    Das war unser letztes Wiedersehen.
     
    Da wir uns sonst nicht sahen und auch nicht sprachen, waren unsere Briefe nicht etwa die Fortsetzung unserer Liebe, Freundschaft, Verbindung oder was es denn war, sondern die Erfindung dieser Liebe, Freundschaft, Verbindung oder was es denn war, etwas Ungelöstes, Ungeregeltes, Ungenormtes jedenfalls, das uns nicht ungebunden, nicht frei voneinander sein ließ.
    A. mißbilligte meine Auswanderung, meine Hinwendung zum Jüdischen mißbilligte er und meine Ehe mit Yoav mißbilligte er auch. Vielleicht war er sogar eifersüchtig.
    Zwei Tage nach meiner Hochzeit, diese matrimoniale Wendung meines Lebens hatte ich ihm ja nicht verheimlichen können, rief er an, mitten in der Nacht, lange nach Mitternacht, wir schliefen schon.
    Vorwürfe, Vorbehalte.
    Was soll das, warum heiratest du? Und jüdisch. Wozu? Du wendest dich von mir ab.
    Das hatte er mir schon bei unserem kurzen Wiedersehen nach meiner Ausreise gesagt. So ähnlich. Als er mich damals nach Hause brachte, zum Haus der Eltern seiner damaligen Frau.
    Was willst du eigentlich dort? Warum schaffst du dich weg?
    Stille.
    Ich war verschlafen und verwirrt, ich glaube, wir hatten noch nie miteinander telefoniert, denn im Osten hatten wir kein Telefon, und später, im Westen, riefen wir uns ja sowieso nicht an.
    Ja. Nein. Doch. Was meinst du?
    Stille.
    Was soll ich denn sagen, muß ich mich rechtfertigen?
    Stille.
    Natürlich nicht. Nein. Aber ich möchte das eigentlich nicht. Ich kann es nicht verstehen. Das muß doch nicht sein. Du gehst zu weit, finde ich.
    Stille.
    Bitte vergiß mich nicht.
    Bitte.
    Das war das einzige Mal, in all den Jahren, daß er so etwas sagte.
    Bitte vergiß mich nicht.
    Yoav, der im Bett neben mir schlief, wunderte sich über den Anruf und die einsilbigen Worte, die er mich sagen hörte. Ja, nein, nicht, warum denn, nein, wie denn, was denn, nein, ja, nein. Warum? Ich weiß nicht. Yoav wollte schlafen. »Mit wem redest du?« fragte er. »Was ist denn das für ein Verrückter? Hat der keine Uhr?«
    »Ein Freund von früher, von damals, von dort. Schlaf weiter. Ich erklär’s dir morgen.«
     
    Und merkwürdig, lange nach A.s Tod, lange nachdem seine letzte Frau mir meine Briefe zurückgeschickt und ich unsere vereinte Korrespondenz eingesargt hatte,habe ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, die große Blechkiste eines Tages geöffnet, um nach den Briefen zu sehen. Ich habe sie nicht gelesen, mir nur durch die Finger gleiten lassen und dabei bemerkt, daß von all den Briefen, die ich A. geschrieben hatte, nur die da waren, die ich ihm noch aus dem Osten geschickt hatte, Briefe aus der Arthur-Becker-Straße, Karten aus Budapest und Prag. Kein Brief aus meinem späteren Leben im Westen, kein einziger. Nicht einmal der, den ich ihm geschrieben hatte, als ich zum ersten Mal in Amerika war. Ich sehe mich noch in dem Hotelzimmer in New York sitzen, wo ich ihn schrieb, meinen ersten Reisebericht aus der neuen Welt.
    Hat A. alle die Westbriefe weggeworfen? Oder die Frau?
    Galt diese Geste seinem Leben oder meinem? Hat er mein Leben außerhalb seines Einflußbereichs so sehr mißbilligt, daß er dessen Zeugnisse gar nicht aufheben mochte? Während er alle Briefe, Zettel, Zeichnungen, die noch aus dem Osten stammten, so sorgfältig gesammelt hatte? Aus der Zeit, als ich ihm noch leibeigen war.

 
    A.:  Was heißt das denn eigentlich:  Jude? Warum willst du unbedingt Jüdin sein?
    Ich:  Ich bin einfach Jüdin. Ich habe es mir ja nicht ausgesucht.
    A.:  Warum ist es dir wichtig, Jüdin zu sein?
    Ich:  Warum soll es mir nicht wichtig sein, Jüdin zu sein. Es ist eine Tatsache, genau wie deine pommersche Herkunft, die du dir doch auch nicht ausgesucht hast, aber an der du hängst.
    A.:  Das ist doch nur Koketterie. Du bist einfach ein Mensch. Wir beide sind Menschen, wir beide sind Deutsche.
    Ich:  Willst du bestreiten, daß ich eine Frau bin, im Gegensatz zu dir, obwohl wir beide Menschen sind?
    A.:  Willst du Frau-Sein und Jude-Sein auf die gleiche Stufe stellen?
    Ich:  Irgendwie schon. Natürlich nicht biologisch, aber kulturell, sozial, historisch, ethnisch und wie die Worte sonst noch heißen.
    A.:  Ethnisch? Was soll denn der Quatsch? Sag bloß nochrassisch. Ich kenne doch viele Juden, habe bei einigen in Leipzig studiert, bei Hans Mayer und Ernst Bloch, ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie als Juden wahrzunehmen, es interessierte und interessiert mich einfach überhaupt

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