Bilder von A.
nicht, ob einer Jude ist oder Slawe oder Romane oder was sonst.
Ich: Ich nehme aber an, daß die Schicksale dieser Juden, Slawen und Romanen und ihrer Familien sehr unterschiedlich von dem Schicksal deiner Familie und anderer Deutscher waren, und was die Juden betrifft, von denen du so viele kennst, dürfte es ein Zufall sein, daß sie die Nazizeit überlebt haben. Wie kannst du so gleichgültig ihrem Schicksal gegenüber sein? Wieso hat es dich nicht interessiert, wieso hast du dich nicht gefragt, wo und wie Hans Mayer und Ernst Bloch überlebt haben, um später deine Lehrer sein zu können?
A.: Die Judenverfolgung der Nazis ist ein deutsches Problem und hat zur Folge, daß die Deutschen jetzt die Parias der Welt sind.
Ich: Ach, die armen Deutschen.
A.: Du hast doch die Verfolgung gar nicht erlebt. Also tu nicht so.
Ich: Was »tue« ich denn? Ich habe die Geschichte meiner Eltern zu tragen, genau wie du. Oder nicht?
Jewtuschenko zum Beispiel, dessen Gedichte wir doch mögen, hat diese Geschichte auch nicht erlebt und ist auch kein Jude, er ist genauso alt wie du. Aber offensichtlich hat ihn beschäftigt, was geschehen ist, er hat in den frühen sechziger Jahren darüber geschrieben,und auch über das Schweigen. Ein langes Gedicht, das ihm nur Ärger und Beschimpfungen eingebracht hat. Den Anfang kann ich auswendig:
In Babji Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang – der eine unbehauene Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt ein Jude.
Warum hat das kein Deutscher geschrieben? Und warum hat es Celan übersetzt und kein Deutscher in Deutschland?
A.: Warum sagst du immer »die Deutschen«?
Ich: Celan war nun wirklich kein »Deutscher«, auch wenn er ein deutscher Dichter war. Und du wirst doch nicht bestreiten, daß »die Deutschen« »die Juden« verfolgt und umgebracht haben, du sagst doch selber, daß es ein deutsches Problem ist, abgesehen davon, daß sie nicht die ersten waren. Alle diese Verfolgungen sind für Juden Teil ihrer Geschichte, der jüdischen Geschichte, die für sie auch schwer zu verstehen ist.
A.: Gehören die Juden in Deutschland nicht zur deutschen Geschichte?
Ich: Ein bißchen, würde ich sagen.
A.: Seit ihrer Emanzipation immerhin haben sich die Juden völlig an die deutsche Kultur assimiliert. Als Hitler sie zu verfolgen anfing, waren sie doch schon ganz und gar deutsch.
Ich: Nicht alle Juden haben sich seit der Emanzipation »völlig« assimiliert, sondern sie haben sich in sehr nuancierten Abstufungen mehr oder weniger assimiliert. Der Preis war ziemlich hoch, nämlich sein Judentum an der Garderobe abzugeben. Und dann wurden getaufte Juden noch besonders verachtet. Scholem sagt, wir können gar nicht nachdrücklich von den Juden als Juden sprechen, wenn wir von ihrem Schicksal unter den Deutschen sprechen.
A.: Ich neige viel mehr zu Marx, dem die »jüdische Frage« in der sozialen aufgeht und in der sozialen Emanzipation verschwindet.
Ich: Der Fall ist niemals eingetreten und wird auch nicht eintreten.
A.: Was soll dieser Partikularismus? Willst du etwas Besonderes sein? Soll ich dich lieben, weil du Jüdin bist, soll ich an dir irgend etwas wiedergutmachen?
Ich: Du sollst mir bloß nichts wegnehmen.
A.: Wo ist es denn, dein Jüdischsein? Worin besteht es? Ich sag’s dir: in nichts. Wir lieben beide Kleist, und wir sind beide nicht zurechtgekommen in diesem Scheißland, das ist unser Problem, deines und meines. Daß du dich plötzlich als Jüdin begreifen willst, sehe ich nur als Flucht aus der Enge dieses Spießersozialismus an. Nicht mehr und nicht weniger ist es.
Ich: Warum kannst oder willst du nicht zugestehen, daß wir beide aus einer jeweils ganz anderen Geschichte kommen? Und nun sag bitte nicht wie meine Eltern, ich lebe in der Gegenwart, die Vergangenheit ist vergangen.Ich sehe so eine Haltung, auch bei meinen Eltern, eher als Symptom, wenn nicht als Pathologie, entschuldige bitte.
Dein Vater – mein Vater! Wehrmacht und Stalingrad. Exil und England. Deine Angehörigen wurden als Deutsche aus Polen vertrieben, meine als Juden aus Deutschland. Das soll kein Unterschied sein?
Du bist doch nicht so vaterlos, wie du tust. Ich möchte dir nicht weh tun, aber ich glaube, daß die Geschichten unserer Eltern und Voreltern schwerer wiegen, als du wahrhaben willst. Vor allem, wenn sie in so dramatische Ereignisse
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