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Bilder von A.

Titel: Bilder von A. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gar nicht an die alten Orte, denn für die drei Vorstellungen habe er den ganzen Tag proben und einrichten müssen. Und sowieso seien unsere Freunde von damals inzwischen entweder tot oder nach Amerika oder Israel ausgewandert. Weil sie uns damals in Moskau so viel von der Achmatowa erzählt hatten, hatte er aber in einer Buchhandlung gleich neben dem Theater diese Gedichte gekauft und wünschte sich nun, ich sollte ihm möglichst bald einige davon übersetzen. Dabei erinnerte er mich daran, wie er damals wie ein Esel hinter mir hergetrabt sei, weil ich Russisch konnte und er nicht.
    Tatsächlich habe ich dann einige der Gedichte übersetzt und sie auch gleich noch für den Rundfunk gelesen. Bei der Aufnahme erzählte mir der Redakteur, er habe kürzlich A. interviewt und ihm bei dieser Gelegenheit von unserer Achmatowa-Produktion erzählt, aber A. habe überhaupt nicht darauf reagiert. Ob wir uns denn nicht vom Berliner Theater kennen würden, wie er angenommen hatte, denn in Ostberlin habe doch jeder jeden gekannt, oder nicht? Ich habe gesagt, ja, ja, natürlich, doch, schon. Aber das ist doch alles schon lange her. Und der Redakteur sagte, ach so.
     
    Anna Achmatowa
     
    Zerreiße meinen Brief nicht, Liebster.
    Lies ihn, Freund, bis an das Ende.
    Ich bins müde, unerkannt zu bleiben,
    Eine Fremde nur an deinem Weg.
     
    Sieh nicht so finster, grolle nicht.
    Ich bin die Liebste, ich bin deine.
    Bin nicht Bettlerin, nicht Herrscherin
    Und besonders keine Nonne –
     
    Wie ich da steh in diesem grauen Kleid
    Und den abgelaufenen Schuhen.
    In der Umarmung aber bleibt, wie immer Fremdheit
    Und in den Augen bleibt die Angst.
     
    Zerreiße meinen Brief nicht, Liebster,
    Über die innige Lüge weine nicht.
    Stattdessen steck ihn in dein armes Bündel
    Ganz unten rein.

 
    Wie oft haben wir versucht, oder wenigstens so getan, das war auch eines der Kasperltheater-Gesichter, als versuchten wir, uns in einer der Städte zu verabreden, in denen A. gerade inszenierte. Immer wieder haben wir Karten und Briefe oder Telegramme getauscht, wo und wann, dann und da, komme an, ja, nein, wahrscheinlich, sicher, bis zum zehnten, werde mir das so einrichten, drei Tage in drei Wochen. Unbedingt. Ich freue mich.
    Doch alle diese Verabredungen sind nie zustande gekommen, immer haben wir sie zu verhindern gewußt, zu spät, zu früh, immer ist etwas dazwischengekommen. Es hätte ja sonst wie eine normale Freundschaft aussehen können. Nein, das vermieden wir, Freunde wollten wir nicht sein, und schon gar keine guten Freunde.
    Einmal aber haben wir uns doch noch wiedergesehen.
    A. war wütend geworden, als er in der Stadt, in der er damals gerade lebte, in Hamburg, auf einem Plakat, das die Veranstaltung eines »Frauenfestivals« ankündigte, unter mehreren Gesichtern von Frauen auch meines entdeckte; er hatte es sofort von der Litfaßsäule gerissen undmir das ausgerissene Stück Gesicht zum Beweis seiner Tat in einem Brief mitgeschickt. Es war ziemlich erschreckend, als ich mein beschädigtes Bild aus dem Kuvert zog.
    Das Frauenfestival fiel dann aus irgendwelchen technischen Gründen aus, was ich erst erfuhr, als ich schon in Hamburg angekommen war. Ich besuchte ihn dort natürlich nicht in seiner Wohnung, und er hat mich auch nicht zu sich eingeladen, eine solche Idee wäre uns beiden nicht gekommen. Wir trafen uns stattdessen an einem neutralen Ort, in seiner Lieblingskneipe am Hamburger Hafen, und gingen dann am Hafen spazieren, an großen Schiffen, hohen Kränen und Docks vorbei. Diese Umgebung liebte A., er sah darin ein Menschenwerk, das gleichzeitig den Elementen der Natur ihren Platz läßt, ja seinen Charakter überhaupt erst von ihnen erhält – Wasser, Wind, Himmel und Kanäle, die breiter als Straßen sind, Schiffe, höher als Häuser, aus deren geöffneten Toren manchmal ganz kleine Autos herausfahren, und wenn man näher kommt, erkennt man, daß es riesige Lastwagen sind. Da fühle er sich heimatlich, sagte A., auch im engeren Sinne, denn das pommersche Kaff, aus dem er stammte, liege ja auch in dieser platten Ebene, die zu Meer und Hafen führe und damit in gewisser Weise schon zu Übersee gehöre.
    Wir sprachen auf diesem Spaziergang über Belanglosigkeiten, und bei irgendeiner Geschichte, die ich ihm erzählte, wovon sie handelte, habe ich längst vergessen, lachte A. so unbändig, daß er fast ins Hafenbecken gefallenwäre. Ich mußte ihn festhalten und an ihm ziehen, und aus Versehen umarmten wir uns dabei ein

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