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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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sofern man einen echten Traum verfolgte, egal wie lächerlich oder verrückt dieser auch sein mochte – sie wollte immerhin Monsterfilme machen –, diesen durch bloße Hartnäckigkeit und Konzentration Wirklichkeit werden lassen konnte. Diesen Glauben teilte Mona allerdings nur, wenn sie mit Amy zusammen war.
    Amy brachte ihr eigenes Universum, ihre eigene Wirklichkeit mit. Wenn man ihr nah genug war, gehörte man dazu, wie Statisten oder eine Kulisse zu einer Szene gehören: anwesend, aber unsichtbar. Als sie sich kennenlernten, gingen beide noch in den Kindergarten der Ruby Falls Elementary, wo Amy auf dem Spielplatz auf feuchtem Oktoberlaub ausrutschte und hinfiel und Mona ihr wieder auf die Beine half. Amy war in den Dreck gefallen, der auf der Sitzfläche ihrer violetten Health-Tex-Cordhose einen braunen Fleck hinterlassen hatte, und sobald sie dank Mona wieder festen Halt hatte, begann lautes Gelächter. Doch weitaus unvergesslicher als das Hosenscheißerbaby- Gehänsel der anderen war Amys Reaktion auf die Situation an diesem Tag: Sie hatte ihre Quälgeister, die Kinder, die bereits zu den Rüpeln heranwuchsen, die sie ihr ganzes Leben lang sein würden, aus schmalen Schlitzen angesehen, mit den Schultern gezuckt und sich dann Mona mit den Worten zugewandt: »Was soll’s. Scheiß drauf.«
    Mona erinnerte sich gut daran, wie sich ihr als Fünfjähriger das Wort Scheiß als Cartoon, ähnlich den Buchstaben und Worten in der Sesamstraße , in die empfindlichen Ohren presste und dabei höllisch brannte. »Aua«, hatte sie gesagt und sich mit beiden Händen die Ohren zugehalten. Amy hatte gelacht (»Ach, nicht doch, das kann man nicht fluchen nennen.«) und Mona gefragt, ob sie jemals Kampf der Titanen gesehen habe.
    Das war die Keimzelle ihrer Freundschaft, die sich in ihren Grundstrukturen, die an diesem kalten Nachmittag gelegt wurden, als sie beide fünf Jahre alt waren, fast immer gleich blieb: Amy würde etwas tun oder sagen, was Mona entweder schockierte oder amüsierte, Monas Reaktion wiederum würde Amy lange genug aus ihrer Selbstvergessenheit reißen, um zu bemerken, was sie getan hatte, und danach schauten sie sich dann gemeinsam einen Film an. Sie schauten sich viele, viele Filme an: Monsterfilme, Horrorfilme, Science-Fiction-Filme, Filme über schrecklich mutierte Eidechsen und haarige Wolfsmenschen von anderen Planeten und schleimige Schlangen, dem Menschengeist entsprungene Ausgeburten wissenschaftlicher Experimente, die aus dem Ozean kamen, um ihren Schöpfern eine Lektion zu erteilen. Sobald es eine Kreatur gab, die über die Leinwand watschelte oder stampfte oder schlitterte, wollte Amy sie sehen, und Mona zeigte ernsthaftes Interesse daran, warum dieses Ungeheuer, dieses Ding, das sich jemand ausgedacht und dann dreidimensional (oder eher zweidimensional, was aber wie drei aussah) umgesetzt hatte, ihrer Freundin so viel bedeutete.
    Mona wusste sehr wohl, dass sich die Freude ihrer Eltern über ihre Busenfreundin, die verrückte Amy Henderson, in Grenzen hielt, die von ihrem ans Bett gefesselten Großvater in diesem baufälligen Wohnwagenhaus draußen im Wald aufgezogen wurde, aber je mehr Zeit Amy bei den Darby-Jones’ verbrachte, umso weniger Sorgen schienen sich Monas Eltern zu machen. Amy hatte Charme. Amy war höflich. Doch wenn Monas Eltern nicht zugegen waren, setzte Amy alles daran, Mona zu ihrer Einstellung zu bekehren, wonach die Welt von Ruby Falls kleinkariert und klaustrophobisch war und das Leben aller, die sie kannte, traurig und öd; aber genau das war der Grund, weshalb Mona sie liebte. Amy hatte Leidenschaften, und für ein Mädchen wie Mona – die sich an den meisten Tagen formlos und teigig, wie ein Batzen Ton fühlte – versprühte Amy einen Zauber. Es war ein Zauber, der unlösbar mit den Träumen und der Verheißung ihrer Kindheit verknüpft war, die im Nachhinein nur die besonderen Träume und die besondere Verheißung von einer von ihnen waren. Wenn Mona sich zu erinnern versuchte, was sie sich als Kind vom Leben erhofft hatte, fiel ihr nur ein, dass sie Amys beste Freundin sein wollte – bis Amy sich von ihr trennte und Mona ohne sie aufwachsen musste.
    Und jetzt war sie zurück.
    Harryhausen. Das letzte Mal, als Mona Harryhausen sah, war dieser ein Kätzchen. Sie war nach Los Angeles gefahren, um Amy zu besuchen, nur dieses eine Mal, Jahre, nachdem Amy weggelaufen war. Oneida war kaum dem Kleinkindalter entwachsen und Mona kaum eine Erwachsene. Das Kätzchen

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