Bilder von dir: Roman (German Edition)
Sandkorn bearbeitete. Immer war Mona diejenige gewesen, die ein Geheimnis mitzuteilen oder eine Schwärmerei zu beichten hatte. Nur zweimal im Verlauf ihrer Freundschaft hatte Amy Mona ein Geheimnis anvertraut, und beide Male unter der ausschließlichen Bedingung, dass Mona versprach, es niemals jemandem zu verraten.
Beide Male hatte Mona es versprochen. Sie fragte sich, wie viele Geheimnisse Amy wohl Arthur erzählt hatte, und ob diese irgendetwas mit seiner geistigen Verwirrung zu tun hatten. Wenn Amy einem das Schweigegelübde abnahm, schwor man auf mehr, als man jemals vorbereitet war.
Das erste Mal, als sie Stillschweigen gelobt hatte, waren sie beide dreizehn gewesen. In Monas Erinnerung gab es während der siebten Klasse ständig Anlass, von Amy enttäuscht zu sein – obwohl sie beste Freundinnen waren. Jede von ihnen besaß die Hälfte eines Anhängers in Form eines an einer Zackenlinie auseinandergebrochenen Herzens, aber wenn Amy ihr keine Aufmerksamkeit schenkte oder Mona keins ihrer Geheimnisse anvertraute, wozu sollte das dann gut sein? Sie saßen im unteren Arbeitszimmer jeweils am Ende des blauen Cordsofas, lackierten sich die Fingernägel und schauten nebenbei einen Godzilla-Film. Mona hatte Amy soeben gestanden, sie wünsche sich, von Eric Cole zum Frühlingsball der Mittelstufe eingeladen zu werden. Amy hatte darauf noch nichts erwidert.
»Mein Gott, Amy. Du hörst mir ja nicht mal zu.«
»Ich höre dir sehr wohl zu.«
»Nein, das tust du nicht. Ich könnte dir das Gruseligste, das Geheimste und Privateste erzählen, das ich jemals jemandem auf diesem Planeten anvertraue, und du würdest womöglich darauf antworten: George Lucas würde seine Seele verkaufen, um Ray Harryhausen zu sein .«
»Lucas würde seine Seele verkaufen, um Harryhausen zu sein.« Amy spreizte ihre Finger und blies auf ihre Fingernägel, die sie gerade in funkelndem Grün angemalt hatte.
Mona spürte es noch immer – die Wut, die sich über ihre Wirbelsäule nach oben arbeitete und sie aufrechter sitzen ließ. Sie konnte sich vorstellen, wieder auf dieser verlotterten Couch zu sitzen, fast zwanzig Jahre älter, und die Stimmung im Arbeitszimmer zu trüben, spürte die neben ihr sitzende Amy, die unverwandt auf den Bildschirm starrte. Mit der Leichtigkeit, mit der man einen Song abruft, konnte Mona die Entrüstung abrufen, dass ihre angeblich beste Freundin für ihr Geständnis nicht einmal ein Wimpernzucken übrighatte – denn Eric Cole war ein Arschloch, ein Jugendlicher, der mit Steinen nach streunenden Katzen warf, aber dennoch: Mona würde mit ihm auf den Ball gehen, wenn er sie aufforderte. Warum? Weil er süß war. Nein: Er war ein scharfer Typ. Er war gefährlich . Und sollte Amy sie nicht warnen? Ihr sagen, Eric Cole sei nichts für sie? Sollte ihre beste Freundin nicht besorgt sein?
»Na ja, Eric Cole ist ohnehin nur ein Lückenbüßer«, ergänzte Mona. »Denn in Wirklichkeit liebe ich Ben.«
Ben Tennant wohnte im dritten Stock des Darby-Jones im gleichen Raum, der eines Tages der Schauplatz der für Oneida so peinlichen Tierärztin-auf-Werklehrer-Situation wäre. Er war einer der jüngsten Mieter, die je unter dem Dach des Darby-Jones gelebt hatten: Mitte zwanzig, aber auf hypnotische Weise erwachsen für jeden, der jünger als achtzehn war – und hübsch dazu. Er hatte Augen so blau, als wären sie angemalt, und kräftiges braunes Haar, das sich in seinem Nacken wie glänzende Schokoraspeln ringelte. Er lächelte gern und oft und hatte tatsächlich ein Grübchen in seiner linken Wange, wenn er beim Lachen den Mund weit genug auseinanderzog. Als er sich Mona beim Abendessen erstmals vorstellte, hatte sie ihren dummen Mund nicht davon abhalten können, ihn zu fragen, in welcher Klasse er war – aber nein, er sei kein Schüler, obwohl er dann doch jeden Tag mit ihr zur Highschool ging. Er war der Aushilfslehrer für Musik und Drama an der Ruby-Falls-Highschool, eine Position, die erst kürzlich geschaffen worden war, nachdem der Orchesterleiter seinen Wagen (und sich selbst) Ende März zu Schrott gefahren hatte. Deshalb musste nicht nur eine Übergangslösung für den Musikunterricht gefunden werden, sondern auch das weitaus kritischere Problem gelöst werden, nämlich das Loch zu stopfen, das nun bei der Regie des Schulmusicals entstanden war. Dies war ein jährliches Ereignis, das abgesehen vom unbesiegten Volleyballteam der Frauen einer der wenigen Anlässe war, auf die man in der RFH stolz sein
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