Bilder von dir: Roman (German Edition)
ihn«, sagte sie und schniefte ein einziges Mal. Dann griff sie nach der Fernbedienung und drehte die Lautstärke auf. Und sie verfolgten schweigend, wie Godzilla eine namenlose japanische Provinz verwüstete, bis Monas Mutter, mit einem Korb sauberer Wäsche beladen, ihren Kopf ins Arbeitszimmer steckte und sie bat, leiser zu drehen.
»Das tut mir leid«, sagte Mona, als ihre Mutter gegangen war, und zuckte wieder zusammen, weil es sich so schwach und armselig anhörte und nur zu einem ganz winzigen Teil das wiedergab, was sie tatsächlich empfand: Sie hatte Mitleid mit Amy, war traurig für Amy und für sich und tat sich selbst leid, weil sie genau das bekommen hatte, was sie wollte: ein Geheimnis zum Beweis, wie gut sie einander kannten. Dass sie, verhältnismäßig betrachtet, beste Freundinnen waren.
»Mir auch«, sagte Amy, und fügte dann wie zum Trost hinzu: »Eric Cole ist ein Idiot. Du kannst was Besseres kriegen.«
Das andere Geheimnis stand in Zusammenhang mit dem Sommer, als sie wegliefen, als sie Ruby Falls den Rücken kehrten und an der Küste von Jersey untertauchten. Das war die Amy, die jetzt noch durch ihren Kopf geisterte, ein großes Mädchen mit Sonnenbrandflecken an Schultern und Beinen, immer in Bewegung, ob sie nun zum Strand hinunter- oder die Strandpromenade entlanglief.
Und während Mona ihre Beine unter dem Bettzeug ausstreckte, fragte sie sich, was wohl aus Amy geworden war. Wer Amy jetzt war. Noch immer in Bewegung, vermutete Mona, immer vorwärts. Noch immer unterwegs.
Nach jenem Sommer in New Jersey war Amy bis nach Hollywood abgehauen, und Mona sah sie erst wieder, als Oneida vier Jahre alt war. Jahrelang hatte sie kein Lebenszeichen von sich gegeben und dann meldete Amy sich plötzlich am Telefon. Ganz einfach so. Monas Mutter erkannte Amys Stimme nicht, hielt die Sprechmuschel zu und brummelte etwas von Telefonverkäufern. Aber gleich, nachdem Mona den Hörer genommen hatte, wurde ihre Hand taub, und sie musste sich gegen die Küchenschränke lehnen, um nicht umzukippen.
»Hi, Mona«, war alles, was Amy sagte.
Mona wollte sie begrüßen, brachte aber nur eine Reihe schnaubender Laute heraus.
»Hör zu, ich weiß, dass du wahrscheinlich noch immer … sauer bist.« Amy klang so sehr nach Amy, wie eine Direktübertragung aus der Vergangenheit, dass es Mona Tränen in die Augen trieb. Sie konnte sich kaum noch erinnern, wie sie selbst in diesem Alter gewesen war, aber da war ihre Freundin, immer noch dieselbe, eine Zeitreisende. »Und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr … ich kann dir nicht genug danken.«
Eine Sekunde lang herrschte Stille in der Leitung, dann war von Amy ein erstickter Laut zu hören, ob von einem Lachen oder einem Schluchzen – Mona würde es nie erfahren.
»Hör zu«, sagte Amy, deren Stimme jetzt kräftiger klang, obwohl die Worte zögernd kamen. »Ich – habe an diesem Film mitgearbeitet, und in ein paar Wochen wird es hier bei uns eine Premierenvorstellung geben, und ich – ich habe Karten – und es ist ein echter Film, Mona. Du hast vielleicht sogar davon gehört, er heißt The Big Kahuna, und der irre Keanu Reeves spielt mit, und es geht dabei um Surfer, die von einem Monster im Stil von Das Ungeheuer der schwarzen Lagune terrorisiert werden, und ich war die erste Assistentin für die Unterwasser-Animatronic und …« – Amy schluckte beim Atmen – »ich würde mich wirklich freuen, wenn du dabei wärst. Ich …«
Mona glaubte nicht, dass es einen medizinischen Begriff für ihr zwischen zwei Schlägen erstarrtes Herz gab. Sie hatte noch kein Wort gesagt. Erst als ihre Mutter besorgt ihre Wange berührte, spürte sie, wie warm sie war, weil alles Blut ihres Körpers in ihren Kopf geschossen war. Wenn sie jetzt nichts sagte, würde sie platzen.
»Amy«, sagte sie. Die Augenbrauen ihrer Mutter schossen hoch bis zum Haaransatz. »Ich würde gern kommen, Amy – das möchte ich nicht verpassen. Wann ist es denn?«
»Nächsten Monat. Zehnter April – du kannst übers Wochenende kommen, ich weiß ja nicht – na ja – ich kenne deinen Terminplan nicht …«
»Ich krieg das hin«, sagte sie, weil es so war, denn sie arbeitete nun mal nirgendwo anders außerhalb des Darby-Jones. »Eine Frage – äh.«
»Was denn?«
»Soll ich Oneida mitbringen?«
»Oh – wen?«, fragte Amy.
»Das Baby?«, antwortete Mona und sagte sich: Gleich werde ich ohnmächtig. Ich werde ohnmächtig. »Ich … ich habe sie behalten.«
Amys Schweigen
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