Bilder von dir: Roman (German Edition)
ihn wieder, und da merkte Mona, was los war.
Amy hatte ein Geheimnis. Amy wollte ihr – endlich! – etwas erzählen, etwas, das nur sie beide teilen konnten. Etwas, das ihre Freundschaft bekunden würde.
»Ben Tennant … Scheiße«, sagte Amy. »Aber – ich kann dir nicht mehr erzählen, sofern du mir nicht versprichst, es nicht weiterzusagen. Niemandem. Niemals. Versprichst du mir das?«
Amys Stimme hörte sich merkwürdig an, farblos und schwach, und Monas Magen verkrampfte sich. Vielleicht wollte sie Amys Geheimnis lieber doch nicht erfahren. Aber nein – nein: Dazu hatte man schließlich eine beste Freundin.
»Ich verspreche es«, sagte Mona und streckte ihren kleinen Finger aus, damit Amy Henderson ihren eigenen darum herumwickeln konnte, ein kalter, knochiger kleiner Finger, an den Mona sich immer erinnern würde, weil er zitterte: Monas einziger Körperteil, der sich seiner selbst nicht ganz sicher war.
»Ich liebe ihn«, murmelte Amy. Sie wandte sich vom Fernseher ab, sah Mona aber nicht an, nahm keinen Blickkontakt auf. Sie sprach die Couchkissen an. «Ich – ich bin so ein Idiot. Ich schrieb ihm einen – du weißt ja, er hat in New York und in London und Kalifornien gelebt und er hat – er war in Shows und – äh, vor ein paar Wochen haben wir einfach so geredet … hier.« Ihre Augen schossen durchs Arbeitszimmer. Mona erinnerte sich. Sie war in die Küche gegangen, um Snacks zu holen, und kam zurück und traf Ben und Amy beim gemeinsamen Fernsehen an. »Er möchte auch Filme machen. Drehbücher schreiben und bei seinen eigenen Filmen Regie führen. Er ist der erste Mensch, mit dem ich darüber gesprochen habe, der mich nicht für vollkommen verrückt hält, und, weißt du, ich – es tat so gut, jemanden zu treffen, der so tickt wie ich. Manchmal fühle ich mich so allein. Verstehst du?«
Mona zuckte zusammen. Ich halte dich nicht für verrückt, sagte sie sich, sprach es aber nicht aus. Und ich denke auch nicht, dass du allein bist.
»Also schrieb ich diesen … Brief. Eher eine Notiz. Auf einer Postkarte, weil ich dachte, er würde das witzig finden – darauf stand Ich wünschte, du wärst hier , aber ich korrigierte sie und schrieb wir wären anstatt du wärst . Ich wollte gar nichts anderes von ihm – nur wissen sollte er es.« Sie zuckte mit den Schultern. Ihr kleiner Finger, der noch immer um den von Mona gewickelt war, drückte fester. »Aber er sprach mich in der Aula an und meinte, er habe eine Frage wegen einiger Kulissen. Für die Aufführung. Und ich hatte Chuck Woz geholfen, einige der – ach, ist auch egal. In seinem Büro erzählte er mir – er …«
Amy schloss die Augen und löste ihren kleinen Finger. Sie machte sich ganz klein und kuschelte sich an die Sofalehne und presste beide Hände flach ans Gesicht.
»Er sagte mir, mein Verhalten sei unangemessen .« Ihre Worten kamen gedämpft und zäh.
Sie weinte. Amy weinte, und Mona war wie gelähmt. Noch nie, kein einziges Mal, hatte sie Amy weinen sehen – nicht, als sie erzählte, wie ihre Eltern gestorben waren, als sie fünf war, im Sommer, bevor Mona sie kennenlernte. Nicht, als sie sich in der Turnhalle ihren Knöchel so schlimm verstauchte, dass sie eine Woche lang auf Krücken gehen musste. Und schon gar nicht, als sie sich das Video von »Freundinnen« ansahen, das Monas Mutter im Drugstore ausgeliehen hatte und das Mona auf ein Häufchen Rotz und Elend reduziert hatte. Aber jetzt weinte Amy wegen Ben Tennant, dem Mieter, und Mona, die immer geglaubt hatte, Amys Herz sei unverwundbar (egal durch wen, Jungs oder beste Freundinnen), spürte, wie die Zeit anhielt und sich neu ordnete. Sie nahm alles wahr: den muffigen Geruch der Couch, die in der sonnigen Raumluft hängenden Staubflocken, Amys Hände mit den langen Fingern, mit denen sie ihr Gesicht bedeckte, einen Kranz wirrer schmutzig blonder Haarsträhnen, die sich aus dem Gummiband gelöst hatten, das sie zurückhalten sollte. Es vergingen vielleicht drei Sekunden, aber für Mona schien zwischen der Entdeckung, dass Amy weinte, und der Erkenntnis, dass sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte, die Spanne eines ganzen Lebens zu verstreichen. Sollte sie sie umarmen? Sollte sie Amys kleinen Finger noch mal festhalten, wäre das vielleicht tröstlicher? Warum wusste sie nicht, was sie tun sollte?
Doch ehe Mona handeln konnte, nahm Amy ihre Hände vom Gesicht und richtete sich kerzengerade auf. Ihre Wangen waren dunkelrosa. »Scheiß auf
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